Die Geister, die wir riefen: Posto avançado do progresso

Dieser Film lässt sich Zeit, viel Zeit. Und das völlig zu recht, denn er begleitet zwei Kolonialbeamte dabei, wie sie sich ein langes Jahr auf einem Handelsposten im Kongo vertreiben – im Wesentlichen mit Trinken, Rauchen und ziellosen Spaziergängen. Ihnen dabei zuzuschauen ist hingegen keineswegs langweilig: Hugo Vieira da Silvas Posto avançado do progresso (An Outpost of Progress) entwickelt in betörenden Bildern und mit subtiler Komik das Panorama weißer Überlegenheitsphantasmen gegenüber dem ‚wilden Kontinent‘ – und führt sie genüsslich, in betörender Optik ad absurdum.

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Drei Chinesen mit dem Kontrabass: Trivisa

Johnnie To muss ein sehr, sehr cooler Typ sein. Johnnie Wer? Johnnie To, seines Zeichen einer der einflussreichsten Regisseure des Hong Kong- Kinos, Regisseur von über 60 und Produzent von über 70 Filmen. Der jüngste Film, in dem To als Produzent fungiert, ist Trivisa, in dem er die Rolle des Regisseurs an drei Protegées abgibt: Vicky Wong, Jevons Au und Frank Hui, die hier ihre Regiedebüts abliefern. Johnnie To gab den Dreien eine lose Storyvorgabe, und ließ sie anschließend gewähren, ohne sich großartig einzumischen. Auf der Berlinale konnten wir nun sehen, ob sich dieses Experiment gelohnt hat.

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Die Entsolidarisierungsmaschine: Yarden

Flackernde Lichter in nachtschwarzem Wasser, dazu dräuende klassische Musik. So beginnt Yarden (The Yard), von Måns Månsson, und diese Ouvertüre ist gut gewählt als symbolischer Einklang auf das Folgende. Sie nimmt die bedrückende Verlorenheit vorweg, die in zunehmender Intensität das Filmgeschehen bestimmen wird. Und fasst in einem Bild die Lage eines Menschen, der am unteren Ende der neoliberalen Hackordnung angekommen ist. Yarden erzählt von einem solchen Menschen.

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Ein Film zum Bügeln – aber gut: L‘ avenir

Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine neue, sagt man. Bezüglich Mia Hansen-Løves neuem Film L‘ avenir könnte man diese Binsenweisheit etwas abändern: wenn sich alle Türen gleichzeitig schließen, sollte man vielleicht mal abschalten und nach draußen. Nathalie, Philosophielehrerin und bourgoise Intellektuelle in ihren Fünfzigern, verliert in relativ kurzer Zeit fast alles, über das sie in den letzten Jahrzehnten ihre Identität definiert hat. Mann weg, Kinder aus dem Haus, Mutter im Altersheim, um nur einige Veränderungen zu nennen, die die von Isabell Huppert verkörperte Protagonistin direkt in eine Sinnkrise steuern. Ihre nun einsetzende Selbstsuche bildet das Kernstück dieses zwar gemächlichen, aber sehr charmanten und reflektierten Dramas.

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Gefangen zwischen Welten – Mãe só há uma

Der Hauptcharakter in Anna Muylaerts neuestem Film Mãe só há uma (Don’t call me son), ist zwischen Welten gefangen – zwischen einer Familie, die Jahre lang nach ihm gesucht hat und einer, die durch das Gesetz zerstört wurde, und gleichzeitig zerrissen zwischen verschiedenen Entwürfen seiner selbst. Muylaerts gewann letztes Jahr mit Que horas ela volta den Panorama Publikumspreis auf der Berlinale. Dieses Jahr kehrt sie also zurück. In Mãe só há uma behandelt sie Fragen von Familie, Identität und Sexualität virtuos und charmant durch die Augen eines jungen Mannes.

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Vom Sterben eines Schmugglers – Curumim

Marco Archer Moreira, genannt Curumim, war der erste brasilianische Staatsbürger, der von einer ausländischen Regierung hingerichtet wurde. 2004 wurde er am Flughafen von Jakarta mit 13,5 Kilogramm Kokain erwischt und nach einer 15-tägigen Flucht festgenommen, von indonersischen Behörden zum Tode verurteilt und nach 11 Jahren Haft im Januar 2015 durch ein Erschießungskommando hingerichtet.

In der Dokumentation Curumim widmet sich der brasilianische Regisseur Marcos Prada Moreiras Lebensgeschichte. Hierfür standen ihm nicht nur mehrere Stunden Telefonaufzeichnungen, zahlreiche Briefe und Interviews mit Curumims Weggefährten zur Verfügung: Moreira, selbst Ideengeber des Films, zeichnete ab 2012 über drei Jahre mit einer versteckten Kamera seinen Haftalltag auf und schickte das daraus entstandene Material an Prado, auf dass der die besten Ausschnitte für den Film benutze.

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Fuocoammare – Ein Text aus Fassungslosigkeit

Dies ist nicht direkt eine Filmkritik zu Fuocoammare von Gianfranco Rosi. Ich kann den gerade gar nicht wirklich bewerten, zumindest nicht als ganzen Film. Zu sehr hat mich eine Szene aus der Dokumentation über Lampedusa – und sowohl den dortigen Alltag italienischer Kleinfamilien als auch die ankommenden Flüchtenden – erschüttert, zu schlecht ist mir immer noch beim Gedanken daran. Deswegen werde ich hier auf einigen Zeilen meinem Ärger (oder ist es irgendwie Verzweiflung? auf jeden Fall Entrüstung und Ekel) Luft machen.

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Und jährlich grüßt das ‚Elixir‘

Letztes Jahr hatten wir das zweifelhafte Vergnügen, uns den deutschen Film Elixir anzusehen. Fazit: ziemlich prätentiöse Dünnbrettbohrerei, und wir sind ja alle soolche Künstler. Cut, ein Jahr später, neue Berlinale und wieder Elixir  im Programm. Nach einem Jahr Ruhen entpuppt der sich beim zweiten Gucken auf einmal als russische, farbentsättigte Suche nach… ja, nach was eigentlich? Und taugt Elixir jetzt auf einmal doch etwas?

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„But if it were so simple“: Hail, Caesar!

Was macht einen guten Eröffnungsfilm für ein internationales Filmfestival aus? Nun, international könnte er sein, Publikum anziehen sollte er wohl, große Namen auf den roten Teppich locken, in Ordnung. Aber dass das bei weitem nicht ausreicht, hat der unsägliche Nobody wants the Night vom letzten Jahr gezeigt, der unserer Euphorie, noch bevor es richtig losgegangen war, einen gehörigen Dämpfer verpasste. Ein guter Eröffnungsfilm sollte auch politisch sein – gerade wenn er die ach so politische Berlinale einläutet. Das ist der diesjährige Auftakt zu den Berliner Filmfestspielen zwar nicht unbedingt. Tortzdem ist Hail, Caesar!, der neue Film der Coen-Brüder, ein gelungener Einstand dieser Berlinale, denn er macht etwas anderes richtig, was genauso viel wert ist: Er macht Lust auf Kino. Aber ist er auch ein gelungerner Film?

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Tag 1: Jetzt aber wirklich! Wer sind denn diese Kinder?

Eine neue Berlinale ist wie ein neues Leben. Oder so. Ein weiteres Jahr wollen wir euch mit hochqualifizierten oder unterhaltsamen Filmkritiken und Eindrücken von den Berliner Filmfestspielen versorgen. Aber Moment mal, wer sind eigentlich wir? Vier Kinder plus ein kindlicher Gast, die sich jetzt erst einmal vorstellen. Mit streng formalisierten Fragen, wir haben gelesen, das macht man so. Dazu Bilder! Und das Versprechen auf einen baldigen Kritikregen allererster Güteklasse!

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