Ein Film zum Bügeln – aber gut: L‘ avenir

Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine neue, sagt man. Bezüglich Mia Hansen-Løves neuem Film L‘ avenir könnte man diese Binsenweisheit etwas abändern: wenn sich alle Türen gleichzeitig schließen, sollte man vielleicht mal abschalten und nach draußen. Nathalie, Philosophielehrerin und bourgoise Intellektuelle in ihren Fünfzigern, verliert in relativ kurzer Zeit fast alles, über das sie in den letzten Jahrzehnten ihre Identität definiert hat. Mann weg, Kinder aus dem Haus, Mutter im Altersheim, um nur einige Veränderungen zu nennen, die die von Isabell Huppert verkörperte Protagonistin direkt in eine Sinnkrise steuern. Ihre nun einsetzende Selbstsuche bildet das Kernstück dieses zwar gemächlichen, aber sehr charmanten und reflektierten Dramas.

Besonders angenehm fällt dabei auf, dass Hansen-Løve nicht in gängige Frauen- und Handlungsmuster tappt, sondern eine unabhängige, kluge und lustige Frau auf die Leinwand bringt, die eben weder sofort an einen anderen Mann geraten muss noch durchdreht und hysterische Katzen-Lady wird – obwohl, das mit der Katze nehme ich wieder zurück, die gibt es tatsächlich. Nichtsdestoweniger nimmt Nathalie Rückschlag für Rückschlag mit einer an Ataraxie grenzenden Gelassenheit (ja, wenn der Film permanent philosophisches Name-Dropping betreiben darf, dann tun wir das auch ein bisschen) hin und besinnt sich, je mehr äußere Quellen der Selbstbestätigung ihr wegbrechen, mehr und mehr auf sich selbst und erlangt eine Selbstgenügsamkeit, um die man sie nur beneiden kann. Isabell Huppert verleiht jedem Satz der Philosophielehrerin eine trockene, etwas selbstironische Note, und macht ihre Figur so sympathisch und humorvoll, dass man ihr auch gerne den teilweise etwas dilettantischen Bezug auf halbmoderne Philosophie verzeiht.

Diese Souveränität Nathalies ist zwar eine willkommene Abwechslung, was das Frauenbild in Filmen betrifft, führt aber zugleich natürlich – in Kombination mit der sehr unaufgeregten und ruhigen Inszenierung – dazu, dass L‘ avenir recht unklimaktisch vor sich hinplätschert. Das stetige Schmunzeln der Zuschauer steigert sich recht selten zu einem lauten Lachen, die zwar anregende Handlung wird kaum spannend, und so könnte man sich diesen Film wohl auch ausgezeichnet zu Gemüte führen, während man bügelt oder Kartoffeln schält. Das kann man der Regisseurin freilich nicht so richtig zum Vorwurf machen, schließlich geht es ihr gerade um eine entdramatisierende Erzählung, aber manchmal kann ein kleiner Tropfen Drama nicht schaden. Nichtsdestoweniger wird L‘ avenir mit Sicherheit in die Herzen zahlreicher frankophiler Arthouse-Fans spazieren und zählt definitv zu einem der besseren Wettbewerbsbeiträge.

Sven

1 Kommentar

  1. „Ein Film zum Bügeln“ … super. 🙂
    Ich fand ihn richtig gut. Hatte zwischendurch auch etwas langatmige Stellen (für meinen Geschmack), aber hat mir unterm Strich trotzdem gut gefallen.

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