Grüße aus dem Sarg! Aniara in „the Worlds most Claustrophobic Cinema“

Da stand ich also, irgendwo am Rande Göteborgs im Schnee, vor einem quadratischen Glaskasten und wartete auf das Abholkommando. Mit mir fünf weitere, die sich ebenfalls Tickets für „das klaustrophobischste Kino der Welt“ gesichert hatten. Die Aktion ist schnell erklärt: man geht allein in einen Sarg, bekommt dort einen Film gezeigt, fertig. Da ich nicht grade als Horrorfan bekannt bin, war ich ganz schön erleichtert, als ich hörte, dass wir das schwedische „Sci-Fi Epos“ Aniara sehen würden. Gleichzeitig freute ich mich auch drauf, Klaustrophobie ist ja eh ein klassisches Science Fiction Element, das würde also sicher gut passen. Aber zurück zum Glaskasten: da kamen nämlich grade 2 Mitarbeiterinnen des Festivals mit Kopfhörern, die sie uns aufsetzten, und die uns während des Weges auf das Sarg-Screening vorbereiteten. Zunächst mussten wir nämlich zum Screening-Ort laufen, 10 Minuten durch den Schnee, die wir schweigend im Gänsemarsch hinter unseren Führerinnen hertrippelten.

Wir kamen dann in einem recht modern wirkenden Lagerhaus an, jeder schloss seine Sachen in einen Spind, dann ging es einen laaangsamen Aufzug hoch zum Showroom, in dem die Särge standen. Diese ganze Vorbereitung, bevor wir überhaupt angekommen waren, dauerte ca. 20 Minuten und hat die Stimmung für das eigentliche Event super vorbereitet. Es fühlte sich ein bisschen so an, als wären wir 6 Probanden eines in nicht allzu ferner Zukunft angesiedelten Experiments. Wer von uns wohl als Erster am psychischen Druck zerbrechen würde? Vielleicht ich?

Die anderen stehen ganz konzentriert in dem Gang, während ich nervös den Gang vor den Spinden auf und ab laufe. Ok, wahrscheinlich wirklich ich. Zum Glück ist das hier nicht tatsächlich ein wissenschaftlich fragwürdiges, sadistisches Gesellschaftsexperiment, sondern nur ein Filmscreening.

Zurück zu den Särgen! Die sehen in dem mit Nebel gefluteten Saal, verbunden mit Kabeln und jeder mit einer Nummer versehen (ich bin die Nummer 2!) schon sehr stimmungsvoll aus. Als die Mitarbeiter den Sargdeckel anheben, und das dunkle, aber gut gepolsterte (yes!) freilegen, ist die Nervosität plötzlich weg. Jetzt hab‘ ich hab ich einfach Bock. Schnell Schuhe aus und rein da! Deckel drauf und Zack! Seh ich meine Hände nicht mehr. Ich kriege von außen noch eine kurze Einweisung, wo der Panikknopf ist und wie ich die Lautstärke regeln kann – und es geht los.

Jetzt kurz was zum Film, aber so viel vorab: ich kann Aniara nicht komplett unbefangen bewerten, da das ganze außen herum den Film deutlich überschattet hat. In Aniara steht die Erde und somit die Menschheit durch eine Folge von Umweltkatastrophen vor dem Untergang. Ein kleiner Teil macht sich auf riesigen Raumschiffen auf, den Mars zu bevölkern. Eines dieser riesigen Schiffe ist die namensgebende Aniara, ein hunderte Meter langer, sargförmiger (OH!) Koloss, auf dem die vielen tausend Passagiere eher wie in einem Hotel leben, bevor sie in drei Wochen dann am Mars ankommen sollen. Aber es kommt, wie es kommen muss: Durch eine Panne ist die Besatzung gezwungen, allen Treibstoff abzuwerfen, und das Schiff kommt zusätzlich hoffnungslos vom Kurs ab. Durch die Algenfarmen, die eigentlich nur für die Luftversorgung zuständig waren, ist zumindest die Nahrungsversorgung gesichert und so treibt das letzte Häufchen Menschheit, dem wir vor allem durch die Augen der Schiffsangestellten Mimaroben (Emelie Jonsson) folgen, ziellos über Jahre durch das All. Dabei entsteht natürlich ein völlig neues gesellschaftliches System, das aber von den Sci-Fi Normen insofern abweicht, dass alles recht geordnet bleibt. Es bricht weder blanke Anarchie noch Autokratie aus, was mich ein bisschen verwundert hat, aber nicht unbedingt schlecht sein muss. Vor allem die Hauptdarstellerin Emelie Jonsson macht einen guten Job, und stellenweise sieht der Film ganz fantastisch aus. Auch die Klaustrophobie (DIE ICH JA AUCH SPÜRTE?!) kommt in dem Film sehr gut rüber. Zwar ist das Raumschiff riesig, allerdings sind die Leute durchgehend mit der unendlichen Weite und Dunkelheit des Weltraums konfrontiert, was das Schiff sehr schnell auf die Größe der kleinen Blechdose, die es eigentlich ist, schrumpfen lässt.

Genug vom Film! Den kann ich so richtig ja eh nicht bewerten, müsste ihn dafür sicher nochmal schauen. Wie war es denn jetzt in dem Sarg? Die ersten 15 Minuten bis zur ersten Katastrophe habe ich die Screeningumstände tatsächlich kaum wahrgenommen. Erst, als der Kurs der Aniara futsch war und die Passagiere darin bis auf unbestimmte Zeit (für immer) in ihr gefangen waren, wurde mir mein Umfeld wieder bewusster. Tatsächlich griff jedes Mal, wenn auf der Leinwand die Dinge wieder aus dem Ruder laufen, die „Sargmechanik“, sodass die Szenen mir näher gingen, es mir teilweise selbst stickig vorkam und so weiter. Außerdem hatte ich ab der großen Panne bis zum Ende des Films durchgehend den subtilen Drang mich auszuziehen, dafür reichte der Platz aber nicht so ganz.

Ja, ich wäre auf jeden Fall in einem Experiment als erster durchgedreht. Sonst hatte ich im Sarg zumindest genug Platz, meine Beine ein bisschen anzuwinkeln und die Position leicht zu ändern, was mit der Zeit echt nötig wurde. Grade mein Gürtel drückte gen Ende ganz schön von unten, hätte ich mich mal ausgezogen. Der Moment, als nach dem Abspann der Sargdeckel geöffnet wurde, war jedenfalls sehr angenehm, vergleichbar mit dem Erwachen nach einem etwas zu langen Mittagsschlaf.

Nach dem Screening wurden wir 6 Probanden noch in einen Nebenraum gesetzt um bei einer Tasse Kaffee oder Tee über unser Erlebnis zu reden. Das war wirklich sehr cool, weil die Atmosphäre sich komplett gewandelt hatte. Anstatt schweigend und konzentriert vor uns hinzustarren waren wir sehr ausgelassen und hatten eine gewisse Verbindung aufgebaut, obwohl ja eigentlich jeder allein in seinem Sarg war. Außer mir wollte sich übrigens niemand ausziehen, die waren offenbar alle zu verdammt stressresistent. Grüße gehen raus!

Jedenfalls war es insgesamt eine intensivere Erfahrung, als ich vorher dachte. Das lag zum Teil sicher auch an der sehr gut durchdachten Vorbereitungsphase zum eigentlichen Event hin. Auch der Austausch und die Gruppendynamik mit den anderen ‚Probanden‘ war ein cooles Erlebnis.

Und ich habe mich auch ganz gut angestellt, wurde mir abschließend gesagt. Scheiße, war das am Ende dann doch irgendein Experiment?

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