Fantastisch als Filmessay, eher mittel als Spielfilm – Grâce à Dieu von François Ozon

Filme über Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche gab es in den letzten Jahren ja schon einige. Nicht, dass das etwas Schlechtes wäre, im Gegenteil. Während Spotlight aber sehr nah an den außenstehenden Journalisten dranblieb, die die Missbrauchsfälle aufdeckten, und der exzellente El Club aus dem Jahr 2015 die Sicht straffälliger Priester erzählt, gibt François Ozon in Grâce à Dieu den Opfern von Missbrauch eine Stimme. Auch die Erzählstruktur und der Ton des Films hebt sich deutlich von vermeintlich vergleichbaren Filmen ab.

Der Film folgt drei Männern, die im Kindesalter vom selben Priester, Vater Preynat, missbraucht wurden. Auch, wenn die traumatische Erfahrung sie auf unterschiedliche Art und Weise geprägt hat, eint sie der Drang nach Gerechtigkeit und vor allem der, zu verhindern, dass der besagte Priester, der nach wie vor mit Kindern arbeitet, dieses ebenfalls missbraucht. An dieser Stelle sollte ich wohl erwähnen, dass der Film auf wahren Begebenheiten beruht. Ja ich weiß, das ist mir eigentlich auch nicht so wichtig, macht die Handlung in diesem Film aber noch ein bisschen erschütternder.

Fast episodenhaft folgt der Film den drei Protagonisten und erzählt ihre Leidensgeschichte. Diese beginnt bei Alexandre (Melvil Poupaud), einem erfolgreichen Bankier, der trotz des Missbrauchs an seinem Glauben festgehalten hat und versucht, Preynat durch innerkirchliche Mittel, vor allem mit der Hilfe von Kardinal Barbarin zur Rechenschaft zu ziehen. Als ihm klar wird, dass Barbarin nicht im Geringsten die Absicht hat, irgendwas gegen den pädophilen Priester zu tun, erwirkt er Ermittlungen der Polizei, was François (Denis Ménochet) auf den Plan ruft. Dieser hat sich vom Glauben abgewendet und will nicht nur Preynat, sondern den gesamten Apparat, der ihn jahrelang gedeckt hat, zur Strecke bringen. Hierfür gründet er die Selbsthilfeorganisation „La Parole Libérée“ (Das befreite Wort), in der die Opfer zu Wort kommen sollen und wo schließlich Emmanuel (Swann Arlaud) hinzustößt, der an seiner traumatischen Vergangenheit zerbrochen ist.

Die drei Protagonisten musste ich kurz einzeln beschreiben, weil die Behandlung der einzelnen Charaktere und ihrer Schicksale die große Stärke, aber auch die größte Schwäche von Grâce à Dieu ist. Auf der einen Seite wird jedem einzelnen genug Platz eingeräumt, um sie zu verstehen und nachzuvollziehen, was von den starken Performances aller Hauptdarsteller noch befördert wird. Generell ist der Film sehr subtil und geht mit den Schicksalen der Männer empathisch, aber keineswegs mitleidig um. Durch die Behandlung auf Augenhöhe wird ihnen eine sehr starke Stimme verliehen, was sich auch in der Behandlung der Kirche fortsetzt. Natürlich kommen die Kirchenvertreter (v.a. Barbarin, über Preynat brauchen wir gar nicht zu reden) nicht gut weg. Ein gewisses Verständnis für den Glauben an sich bleibt aber durchgehend bestehen. Die Prämisse, den Missbrauchsopfern mit ihren verschiedenen Facetten eine klare differenzierte Stimme zu geben, erfüllt der Film mit Bravour.

Allerdings wird diesem Ziel die Qualität des Spielfilms etwas untergeordnet. Die Handlung tröpfelt am Anfang ein bisschen seicht und leise vor sich hin, und die strikte Trennung der drei ‚Episoden‘ wirkt sich negativ auf die Dynamik aus. Folgen die ersten Teile noch einem ähnlichen Muster, wirkt der dritte Teil zudem ein bisschen wie ein eigenständiger, angehängter Film. Für die Argumentation des Films ist Emmanuels Geschichte unabdingbar, dem Film hätte es aber sicher gutgetan, wenn man eine Lösung gefunden hätte, die drei Teile stilistisch unter einen Hut zu bekommen. Und dann noch 20 Minuten kürzer, das wäre auch nicht schlecht.

Unterm Strich ist Grâce à Dieu dennoch absolut sehenswert. Die eindringliche und subtile Erzählung des Films wiegt die erzählerischen Schwächen in meinen Augen locker auf.


Grâce à Dieu  (Wettbewerb)
Länge: 137'
Regie: François Ozon
mit: Melvil Poupaud, Denis Ménochet, Swann Arlaud, Éric Caravaca, François Marthouret
Produktion: Frankreich 2019 

Bildmaterial: Berlinale Filmstills; Wettbewerb

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