In einem grauen Innenhof, dessen unverputzte Ziegelwand bereits leicht bröckelt, hängt ein junger Mann ein weißes Laken an eine Wäscheleine. Er ist in ein tiefschwarzes Priestergewand gehüllt und hebt sich so vor Laken wie Wand deutlich ab. Eine ganze Weile steht er vor dem Tuch, das schließlich in einer leicht flatternden Bewegung zur Seite geschoben wird. Dahinter steht ein zweiter Junge, ebenfalls im Priestergewand, der mit verkniffenem Blick seinen Kameraden taxiert. Kein Wort gesprochen, alles gesagt, Služobníci (Servants) von Ivan Ostrochovský ist eine visuelle Offenbarung.
Kategorie: Berlinale 2015
Die Bilder zum Sprechen zwingen: Tipografic majuscul (Uppercase Print) von Radu Jude
Tipografic majuscul (Uppercase Print) von Radu Jude ist ein Zitat von Michel Foucault vorangestellt. In diesem beschreibt er die Rigorosität, mit dem die komplexe Realität einer Zeit in Akten kondensiert und reduziert wird, und den Gewaltakt, den die Wissenschaft vornehmen muss, wenn sie sich dieser Zeit über die Akten nähert. Damit ist das Programm dieses Dokumentarfilms bereits auf den Punkt gebracht: Über die zwei Stunden Laufzeit hinweg verarbeitet Radu Jude kompromisslos zwei unterschiedlichen Formen von „Akten“, um einen kleinen Teil der Realität des sowjetischen Rumäniens zu extrahieren. Dabei handelt es sich einerseits um Unterlagen der Geheimpolizei, und andererseits – um den ganzen Kram, der im rumänischen Staatsfernsehen so lief. Und miteinander verschaltet bieten diese grundverschiedenen Archive den Schlüssel, sich gegenseitig zu verstehen. Das ist anspruchsvoll, vielleicht sogar bisweilen ein bisschen zäh, aber es funktioniert so gut, dass ich nicht umhinkann, hier eine kleine kulturwissenschaftliche Schwärmerei anzustimmen. Ihr seid gewarnt.
mother! – Art, Spaceships and Satire
This is what I thought art was about in high-school: a heavy, ‚deep theme‘ held together by rigid structure and the iron will of an artist.
This offhand quote characterizes Aronofskys new work ‚mother!‘ pretty well. It also sums up the approach of somebody caught in an artists fantasy: constantly talking about it(he doesn’t get tired of mentioning that he wrote the script in just five days), even making it the theme of most of his works, but never quite reaching the point of creating and speaking fluidly in his own language. It’s a shame, because I didn’t hate ‚Black Swan‘ and quite enjoy seeing Jennifer Lawrence do her thing. I was quite curious and open to a special experience, but ‚mother!‘ is just so far of the mark on so many levels it made me cringe into my seat… weiterlesen →
Sehsüchte 2017: Dritter Tag, Fazit, Preisträger UND Musikvideos!
So, da war er nun: der dritte Tag des Sehsüchte Festivals. Zeitgleich auch der letzte Tag, an dem ich mir Filme reinziehen wollte, da ich statt der Siegerscreenings am Sonntag einen dicken Kater nach der Sehsüchte-Party eingeplant hatte. Aber dazu später mehr. Erstmal gibt’s jetzt ein paar Highlights vom dritten Tag. Anschließend noch meine Meinung zu den verschiedenen Gewinnern (sofern ich sie gesehen habe, meine Quote ist hier wie auf jedem Festival wieder denkbar schlecht) und zum Abschluss stelle ich euch noch ein paar Perlen aus der Musikvideo Sektion vor. Ran ans Werk!
Motherland (Bayang Ina Mo) – Baby out!
Im Schnitt 60 Geburten am Tag, zu Spitzenzeiten 100 Babies in 24 Stunden. Frauen, die sich Betten teilen, fremden Kindern die Brust geben, und irgendwo dazwischen zu Müttern werden. Wieder und wieder und wieder… weiterlesen →
Chavela: Wenn jede Zeile lebt!
„Fragt eine Siebzigjährige nicht, wo sie herkommt. Es ist doch viel interessanter, wo sie hingeht“. Spätestens als man merkt, mit welcher Voraussicht sie diese Sätze gesprochen, und welche Wendungen ihr Leben noch für sie parat hatte, gab es bei uns kein Halten mehr. weiterlesen →
Freiheit hat ihren Preis: Sworn Virgin
Mark lebte bis jetzt in den Alpen Albaniens bei seiner Adoptivfamilie nach dem Kanun, dem alten albanischen Gewohnheitsrecht. Seine Adoptivschwester floh vor Jahren mit ihrem jetzigen Mann nach Mailand um sich einer Zwangsheirat zu entziehen. Nun sind beide Elternteile verstorben. Mark verlässt sein Elternhaus um seine Schwester zu besuchen. Dabei trifft er auf Hana.
Hana ist eine „burrnesha“. Sie schwor einst ewige Jungfräulichkeit, und hat seitdem den Status eines Mannes inne. Ihre Frauenkleider und lange Haarpracht mussten weichen. Sie lernte zu jagen und die Verpflichtungen eines Familienoberhauptes zu tragen. So wurde sie zu Mark (s.o.).
Die Ehren der Bären – Eine Bekenntnis zum politischen und zum stillen Kino
Der Goldene Bär geht also an Taxi, von Jafar Panahi. Diese Würdigung hat der Film durch seine intelligente Machart und seine behutsame Verschränkung von Fiktion und Dokumentation zwar verdient, aber nach rein filmkünstlerischen Kriterien hätte es wohl durchaus aussichtsreichere oder zumindest gleichaufziehende Kandidaten gegeben: Man denke etwa an Body, El Club oder Eisenstein. Diese Entscheidung der Jury ist also auch als politisches Statement zu verstehen (und das eben nicht nur, weil der Film selbst durch und durch politisch ist). Die Jury bekräftigt damit den Anspruch der Berlinale, (auch) ein politisches Festival zu sein, der bei der Auswahl des diesjährigen Eröffnungsfilms oder Wettbewerbszulassung des Herzog’schen Wüstenfilms (die sich beide auf recht billige Weise beide einen bloßen politischen Anstrich geben) so peinlich ad absurdum geführt wurde.
Die Sorgen der Möchtegern-Bohemiens: Elixir
Der Regisseur sei selbst Kurator und habe einmal in Berlin gelebt. Diese Informationen erhielten wir vorab von Seiten des Kinos und sie sollten wohl für die Authentitzität des Folgenden bürgen. Überzeugender wurde das dadurch leider nicht: Elixir von Brodie Higgs erzählt von einer fiktiven Berliner WG (dem ‚Glashaus‘) aus leidenden Künstler-Rebellen – dargestellt in einer Mischung aus Bohémiens der vorletzten Jahrhundertwende und Eso-Hippstern der Gegenwart – , in ihrer Auseinandersetzung mit der kommerzialisierten Kunst („Fashion“, Berlin Art Week), Grundsteuern und dem Establishment im Allgemeinen. Könnte ein vielversprechendes Sujet abgeben – leider aber erfolgt die Darstellung dieser Szene und ihrer Konflikte auf so furchtbar prätentiöse, stereotype Weise, und mitunter so unreflektiert, dass der Film das Potential des Themas ebenso verschenkt wie seine handwerkliche Rafinesse.
Die Angst vorm Fühlen: Body
Janusz vergräbt sich seit dem Tod seiner Frau in die Arbeit. Er ist Untersuchungsrichter. Leichenfunde und Tatortermittlungen bestimmen den Alltag. Seine Tochter Olga leidet an Bulimie. Sie versucht den Verlust ihrer Mutter mit Fressattacken zu kompensieren. Aus Sorge um ihre Gesundheit gibt Janusz sie in ärztliche Betreuung. Dort trifft Olga auf Therapeutin Anna, die sich neben ihrer eigentlichen Tätigkeit als Medium für Hinterbliebene verstorbener Seelen versteht.