Call me by your Name: Klassizistische Masturbation

Call me by your name, der neue Film von Luca Guadagnino, wurde sowohl von der Presse hier als auch auf dem Sundance Film Festival, wo er erstmals gezeigt wurde, als Meisterwerk gefeiert. Und er ist ja auch toll gefilmt und schafft es wohl auch, seiner eigenen Prämisse zu entsprechen. Die Liebesgeschichte zweier junger Männer in den 80er Jahren im sommerlichen Norditalien am Gardasee wirkt wie ein Gemälde aus dem frühen 19. Jahrhundert, und wie ein solches Gemälde ist sie teils ausladend, teils wunderschön, die meiste Zeit in sich ruhend. Und nach einer Weile leider eben sterbenslangweilig.

Als der 17-jährige Elio (Timothée Chalamet), der mit seinen Eltern in der alten Villa der Familie den Sommer verbringt, zum ersten Mal auf Oliver (Armie Hammer) trifft, einen Studenten seines Vaters, mit welchem dieser an einer Arbeit über Heraklit sitzt und sich dafür in das Familienanwesen einquartiert, fällt das noch nicht auf. Zu malerisch sind die Aufnahmen der lombardischen Idylle, zu weich das Licht, das der Haut der jungen, schönen Frauen schmeichelt, die dort ebenfalls ihre Ferien verbringen und mit denen Elio und Oliver zeitweise anbandeln. Zu makellos auch der in der Sonne glänzende Adoniskörper Armie Hammers und zu verschnörkelt die im Hintergrund laufende Klaviermusik, in der man sich ebenso verlieren könnte wie in den gerade beschriebenen Bildern. Je länger diese üppige Pracht uns und die beiden attraktiven Männer bei ihren zaghaften Annäherungen und vielsagenden Blicken umspielt, desto deutlicher wird jedoch das schmerzliche Fehlen eines wichtigen Aspektes: des Risses.

Denn Call me by your Name sieht aus, als wäre er dem feuchten Traum Johann Winckelmanns entsprungen, dessen Arbeiten über antike Statuen nicht nur die moderne Archäologie, sondern auch die klassizistische Obsession mit dem vermeintlichen antiken Schönheitsbild begründet haben. Vor den weichgezeichneten Landschaften heben sich die perfekten, jugendlichen Körper ab wie die Bildnisse junger Götter, nirgends bricht sich die Vollkommenheit der Bilder, auch nicht im Nasenbluten Elios, das einmal kurz vorkommt – und hier liegt auch mein Problem. Natürlich ist das alles von Guadagnino beabsichtigt, und zweifellos ergötzen sich genau daran die begeisterten Kritiken. Aber in dieser bloßen Verherrlichung vermeintlicher Makellosigkeit kann weder Spannung noch irgendeine Erregung aufkommen, die über dekadentes ‚Schwelgen‘ in den Bildern hinausgeht. Das zieht sich nicht nur durch die filmästhetische Ebene, sondern auch die Handlung des Filmes, die frei von irgendwelchen Konflikten bleibt und gefällig vor sich hinplätschert. Bis auf gelegentliches „Ich will nicht, dass du gehst“ fehlt von innerer Zerrissenheit oder wenigstens irgendeiner Bedrohung jede Spur.

Wenn sich die Charaktere dann noch in ethymologischen Spitzfindigkeiten („Das Wort ‚Aprikose‘ kommt aus dem Lateinischen, ging dann erst nach Byzanz und…“) und Auslassungen über klassische Musik („Ich habe Bach so gespielt, wie Liszt es getan hätte.“) oder eben antike Kunst ergehen, drängt sich mir das Bild einer aufwendig produzierten, äußerst opulenten, großbürgerlichen Wixvorlage auf. Das ist ja auch durchaus in Ordnung, wenn man sich genau in solchen selbstgefälligen Träumereien und Bildern und Tönen verklärter Schönheit verliert, sei es einem gegönnt, und Call me by your Name tut das in Perfektion. Ich kann damit allerdings nichts anfangen, perfekte Welt gefällt mir nicht. Um den kürzlich verstorbenen Leonard Cohen zu zitieren, der ein Meister des Hässlichen und Leidvollen war:

Forget your perfect offering, There is a crack in everything, That’s how the light gets in.“

Sven

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