Voll deep, ey – easy love von Tamer Jandali

Ein „dokumentarischer Spielfilm“ über Menschen, die bei ihrem Suchen nach und Versuchen mit der Liebe begleitet werden – und dabei „sich selbst spielen“. Klingt spannend! Geht aber leider gehörig in die Hose.

Das liegt vor allem daran, dass die Wette auf die hybride Form – dokumentarisch, aber mit inszenierten Elementen – nicht aufgeht. Statt die Grenzen zwischen beiden Formen zu verwischen und auch die inszenierten Szenen dokumentarisch wirken zu lassen, passiert genau das Umgekehrte: Auch die dokumentarischen Szenen bekommen zu großen Teilen etwas gekünsteltes, wirken aufgesetzt. Dem Film gelingt genau das nicht, was intime Dokus ausmacht (und was der Regisseur Tamer Jandali nach der Vorführung für sich beanspruchte), nämlich die Gefilmten die Kamera vergessen zu lassen. In easy love hingegen wirken der Umgang und das Sprechen zwischen den Auftretenden allzu oft zu emphatisch, zu wohlartikuliert, zu sehr für ein Publikum gesagt und getan, als dass es sich ‚echt‘ anfühlen könnte. Heraus kommt ein Film, der weder den Kriterien des Dokumentarischen, noch des Spielfilms genügt: Er wirkt eben wie schlecht gespielt.

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The Kindness of Strangers – Ein Eröffnungsfilm wie ein Kirchgang

Das Motiv ist offensichtlich: ‚Freundliche Fremde‘ – welch besseres Motto in Zeiten wachsender Xenophobie. Über einen platten Aufruf, nett zu sein, kommt der Film von Lone Scherfig allerdings leider nicht hinaus. Dafür ist er so weichgespült, dass es weh tut.

Dass und warum man von Eröffnungsfilmen nie viel erwarten sollte, hat ja Janosch bereits in seinem Beitrag aus Göteborg ausgeführt. Das hält mich allerdings nicht davon ab, immer wieder ins Staunen zu geraten, angesichts der wiederkehrenden Fehlgriffe eines Festivals wie der Berlinale, das den dezidierten Anspruch hat, ein politisches und kritisches Programm zu machen.

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Wider das digitale Armageddon: Zero Days

Dieser aufwendig produzierte Dokumentarfilm von Alex Gibney wird wahrscheinlich einen Preis bekommen. Einfach, weil sein Thema so aktuell und politisch ist und um seine investigative Arbeit anzuerkennen: Es geht um „stux net“, den berüchtigten Computer-Virus, der vor inzwischen schon einigen Jahren durch die Medien ging und von dem bis heute niemand so recht sagen, wo er eigentlich herkam und was sein Zweck gewesen ist. Klar schien bisher nur, dass er weiträumigen Schaden angerichtet hat, nicht zuletzt in den USA, dass er außergewöhnlich raffiniert programmiert war, was eine staatliche Beteiligung wahrscheinlich macht, und dass sein eigentlicher Einsatzzweck mit der Sabotage des iranischen Atomprogramms zu tun gehabt zu haben scheint. Der Film bestätigt nun all dieses Halbwissen, aber er versucht vor allem, die Einzelheiten dieser Geschichte herauszufinden und vermitteln: durch eine Vielzahl von Insider-Interviews mit den Antivirus-Experten die StuxNet entdeckt und analysiert haben, einem Journalisten, der ein Buch über Cyberwars geschrieben hat, sowie (und dafür wird es einen Preis geben) mit verschiedenen Geheimdienstleuten von CIA, NSA und Mossad.

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Blasse Charaktere und brave Konventionen: Genius

Wenn es um die großen Werke der modernen Literatur (und um Literatur überhaupt) geht, wird oft die Arbeit der Lektoren vergessen, die in diese Bücher eingeflossen ist und sie oft erst zu dem gemacht hat, was die Öffentlichkeit dann als ‚geniales‘ Werk bestimmt. In dieser Hinsicht ist der Ansatz von Genius (Regie: Michael Grandage) durchaus lobenswert: Er zeigt beispielhaft die Bedeutung des Lektorats für die Entstehung guter Bücher, den wesentlichen Anteil, den es am ‚Genie‘ eines Werks hat, am Beispiel von Max Perkins (‚Entdecker‘ von Hemingway und Fitzgerald) und seinem ambivalenten Verhältnis zum Jungautor Thomas Wolfe in den späten 1920er Jahren. Wie gesagt, der Ansatz ist lobenswert – aber was der Film daraus macht, ist es leider ganz und gar nicht.

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Europas Krisen unter dem Brennglas: Mort à Sarajevo

Dass das ‚europäische Haus‘ sich in keinem guten Zustand befindet, hören wir ja schon seit einer Weile. Mort à Sarajevo (Death in Sarajevo) von Danis Tanović nimmt diese Metapher wörtlich und projiziert die europäische Gemengelage auf ein kriselndes „Hotel Europa“ in Sarajevo, in Anlehnung an Bernard-Henri Lévys geichnamiges Theaterstück. Klingt nach einer spannenden Versuchsanordnung – aber geht sie auch auf?

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Die Geister, die wir riefen: Posto avançado do progresso

Dieser Film lässt sich Zeit, viel Zeit. Und das völlig zu recht, denn er begleitet zwei Kolonialbeamte dabei, wie sie sich ein langes Jahr auf einem Handelsposten im Kongo vertreiben – im Wesentlichen mit Trinken, Rauchen und ziellosen Spaziergängen. Ihnen dabei zuzuschauen ist hingegen keineswegs langweilig: Hugo Vieira da Silvas Posto avançado do progresso (An Outpost of Progress) entwickelt in betörenden Bildern und mit subtiler Komik das Panorama weißer Überlegenheitsphantasmen gegenüber dem ‚wilden Kontinent‘ – und führt sie genüsslich, in betörender Optik ad absurdum.

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Die Entsolidarisierungsmaschine: Yarden

Flackernde Lichter in nachtschwarzem Wasser, dazu dräuende klassische Musik. So beginnt Yarden (The Yard), von Måns Månsson, und diese Ouvertüre ist gut gewählt als symbolischer Einklang auf das Folgende. Sie nimmt die bedrückende Verlorenheit vorweg, die in zunehmender Intensität das Filmgeschehen bestimmen wird. Und fasst in einem Bild die Lage eines Menschen, der am unteren Ende der neoliberalen Hackordnung angekommen ist. Yarden erzählt von einem solchen Menschen.

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„But if it were so simple“: Hail, Caesar!

Was macht einen guten Eröffnungsfilm für ein internationales Filmfestival aus? Nun, international könnte er sein, Publikum anziehen sollte er wohl, große Namen auf den roten Teppich locken, in Ordnung. Aber dass das bei weitem nicht ausreicht, hat der unsägliche Nobody wants the Night vom letzten Jahr gezeigt, der unserer Euphorie, noch bevor es richtig losgegangen war, einen gehörigen Dämpfer verpasste. Ein guter Eröffnungsfilm sollte auch politisch sein – gerade wenn er die ach so politische Berlinale einläutet. Das ist der diesjährige Auftakt zu den Berliner Filmfestspielen zwar nicht unbedingt. Tortzdem ist Hail, Caesar!, der neue Film der Coen-Brüder, ein gelungener Einstand dieser Berlinale, denn er macht etwas anderes richtig, was genauso viel wert ist: Er macht Lust auf Kino. Aber ist er auch ein gelungerner Film?

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„Das Tanzen hält sie am Leben“

Interview – Seit letztem Donnerstag läuft Bettina Blümners neuer Dokumentarfilm „Parcours d’amour“ im Kino (s. unsere Kritik). Darin porträtiert sie Menschen gehobenen Alters in Paris, die sich regelmäßig zum Tanzen und Flirten treffen. Vor der Kamera erzählen sie aus ihrem Leben und von der Liebe. Im Gespräch erzählt die Regisseurin, die 2006 mit ihrem ersten Langfilm „Prinzessinnenbad“ bekannt wurde, von den Entstehungs-bedingungen ihres neuesten Werkes und den Grundsätzen ihrer Arbeit.

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4Kinder: Frau Blümner, wie sind Sie dazu gekommen, einen Film über die Besucher Pariser Tanzcafés zu machen?

Blümner: Es gab mehrere Ideen und Ansätze diesen Film zu realisieren. Da war der Taxiboy Michel, den ich bereits 2008 in Paris kennen gelernt habe. Im Rahmen einer Spielfilmrecherche habe ich mich nach käuflichen Tanzpartnern umgeschaut und ihn getroffen. Trotz eines phantastischen Drehbuches ist dieser Spielfilm leider nie zustande gekommen. Das Thema und den Kontakt zu Michel habe ich im Kopf behalten. Schon damals war ich oft in Paris und habe Freunde besucht, die direkt um die Ecke des [Tanzcafés] „Le Memphis“ wohnen. Dort habe ich die älteren, gut gekleideten Rentnerinnen und Rentner gesehen, die sich täglich um 13:30 Uhr in eine lange Schlange einreihten. Um 14 Uhr öffnet nämlich das Tanzcafé. Ich fand es interessant und spannend, diese Welt zu erkunden. Und dann bin einfach mal reingegangen. Man kommt also am helllichten Tag in so eine dunkle, rote, Plüsch-Höhle – gerade das Memphis hat ja diesen besonderen Flair – und ist dann in einer komplett anderen Welt. Das hat mir gut gefallen.

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Außer dem Alter hat sich nicht so viel geändert

Wenn Menschen jenseits der siebzig tanzen, flirten und lieben – Bettina Blümners Dokumentarfilm „Parcours d’amour“

Menschen ab einem gewissen Alter stellt man sich gewöhnlich nicht mehr als Liebende vor – oder ausschließlich als liebevolle Großeltern. So wie ihre Kleidung sich langsam entfärbt und einem undefinierbaren Beige zustrebt, so scheint auch ihre Sexualität zu verblassen. Ihre Libido, so meinen wir, schaltet sich vermutlich irgendwann von selber ab. Am liebsten aber denken wir gar nicht weiter darüber nach: Die Kombination von Alter und Sex löst in den Jüngeren ein diffuses Unbehagen aus.

    Bettina Blümner zeigt nun in ihrem jüngsten Dokumentarfilm „Parcours d’amour“ mit angenehmer Selbstverständlichkeit, dass – zumindest in Paris – natürlich auch Menschen im hohen Alter das Bedürfnis und die Fähigkeit haben können, zu lieben und sich sexuell auszuleben. Das heißt: Sie zeigt uns einfach einige ältere Menschen, die aus ihrem Leben erzählen. Von tragischen Episoden aus ihrer Jugend und überwundenen Krankheiten, von zahllosen Affären und unglücklichen Ehen; davon, welche Rolle die Liebe für sie spielte und, trotz allem, immer noch spielt. Und sie erzählen von dem ihnen allen gemeinsamen Bedürfnis, zu tanzen. weiterlesen →