Vorneweg: Allein wegen Ian McKellens herausragender Performance lohnt sich dieser Film allemal – auch für Nicht-Sherlock-Holmes-Fans, denn mehr noch als ein Film über diesen ikonischen Meisterdetektiv ist es einer über Tragik und Sanftmut des Alters. Da auch Drehbuch wie Regie überwiegend einfühlsam und gewitzt daherkommen, hätte Bill Condons Mr. Holmes das Zeug zu einem richtig guten Film – insofern ist es umso bedauernswerter, dass beide (Inszenierung und Skript) auf den letzten (Film-)Metern den Mut verlieren und in rührige Klischees verfallen.
Als kritischer Fan der Sherlock-Holmes-Geschichten wie der BBC-Serie und Fan von Ian McKellen habe ich mich auf diesen Film gefreut wie ein Schneehund auf eine extragroße Portion Robbenfleisch: Nach dem verjüngt-modernisierten Cumberbatch-Sherlock, der mit wachsendem Erfolg immer unreflektierter heroische Züge anzunehmen scheint, nun also ein Mr. Holmes im hohen Alter, der voller Selbstzweifel auf sein Leben und seine Arbeit zurückblickt und mit zunehmender Senilität und Alterssschwäche zu kämpfen hat: Ein Genie mit Gedächtnisschwund, ein Mann übermenschlicher Auffassungsgabe, der gegen das Vergessen ankämpft, ein reiner Intellekt, der eben jenen zu verlieren droht – welch vielversprechende Ausgangslage! Und dann noch verkörpert von einem Schauspieler diesen Formats…
Und tatsächlich scheint der Film über weite Strecken diese Versprechen einzulösen: So gern ich die BBC-Serie mag, Ian McKellens Holmes ist eine erfrischende Abwechslung zum hyperaktiven ‚Freak‘ aus Sherlock (und bei allem Können Cumberbatchs eine ungemein vielschichtigere Performance). Bereits mit der ersten Szene nimmt der Film für sich ein und überzeugt dann anhaltend mit hervorragendem Timing, intelligenten Dialogen und einem Schnitt, der souverän die verschiedenen Zeitebenen der Handlung miteinander verknüpft.
Die Musik ist wohldosiert eingesetzt und wirkt nicht aufdringlich; die Annäherung zwischen Mr. Holmes und dem kleinen Sohn seiner Haushälterin, die sich zwischen Bienenstöcken und Erzählstunden zu einer großväterlichen Beziehung auswächst, entfaltet sich behutsam und überzeugend; das Ringen des in die Jahre gekommenen Meisterdetektivs um seine Erinnerungen (an alltägliche Dinge und Namen ebenso wie an seinen letzten Fall) und seine Versuche, das Vergessen zu überspielen, sind berührend und voller zärtlicher Komik in Szene gesetzt.
Ein cineastischer Höhepunkt ist erreicht, als Mr. Holmes sich über die Unzulänglichkeiten und Plattitüden seiner ‚fiktionalen‘ Version echauffiert (in Watsons Geschichten ebenso wie in den ersten Kino-Filmen) und der Film so die Ebene der Meta-Reflexion erreicht – indem er damit zugleich den eigenen Anspruch auf einen ‚wahrhaftigen‘ Holmes in Frage stellt. Nicht umsonst erkennt dieser Mr. Holmes selbst, nachdem er ein Leben im Zeichen der ‚hard facts‘ geführt hat, am Ende den Wert des Fiktionalen. In Fragen des Sozialen, das ist die große Botschaft dieses Films, kommt man mit Fakten allein nicht weiter: Im Sinne menschlicher Zuneigung, muss man manchmal die Wahrheit verbiegen, um seine Lieben zu schützen. Das ist es, was auch der alte Holmes schließlich lernt.
Diese Wandlung des eiskalten Logikers zum sozialverträglichen Opi ist dem Film jedoch leider etwas zu konstruiert geraten, das allzu versöhnliche Ende ziemlich abrupt und doch arg verkitscht. Als würde der Film in diesem Teil plötzlich das Vertrauen in Skript und (zu Unrecht) den Cast verlieren, wird im letzten Drittel die vorher so unaufdringliche Musik grenzwertig aufgedreht und ausgebaut, bis sie im Schlussbild zu einem pathetischen Orchesterklang wird – dabei hätten einige der Szenen (wie üblich) durch weniger Musikeinsatz auch hier nur gewinnen können.
Für einen Bären kommt der Film sowieso nicht in Frage (er läuft außer Konkurrenz). Als behutsam berührende, wenn auch nicht wahnsinnig vielschichtige Reflexion über das Altern taugt der Film dennoch. Und überhaupt bleibt Mr. Holmes trotz des etwas unbefriedigenden Endes (wie eingangs vorweggenommen) ein durchaus sehenswerter, höchst unterhaltsamer, wirklich schöner Film. Und zumindest Ian McKellen hätte für seine Glanzleistung auch einen Preis verdient.
Costja