Ein in mattes Weiß getauchter Wald, vereinzelt an den Stämmen herunterrieselnder Schnee, der von einer kleinen Brise erfasst wird, bevor er sich legt. Durch die Stille stapft ein Paar, er voraus, mit wachsamem Blick die Umgebung untersuchend, während sie hinter ihm zögert, stehen bleibt. Gemächlich kommt er zurück zu ihr, legt seinen Kopf über ihre Schulter, beruhigt sie, bis sie nach einigen Momenten weitergehen kann. Bei dem Paar handelt es sich um einen Hirsch und ein Reh, deren Wanderung durch die Wildnis den Rahmen von Ildikó Enyedis teils behutsamer, teils meditativer Liebesgeschichte Testről és lélekről (On Body and Soul) bildet.
Neben den beiden Tieren folgen wir der langsamen Annäherung von Mária (Alexandra Borbély), frisch eingestellter Qualitätsprüferin in einem Schlachthaus, und Endre (Géza Morcsányi), der dort als Kopf der Administrative arbeitet. Weder die überkorrekte und verschlossene junge Frau noch der vereinsamte ältere Mann mit lahmem linken Arm sind für diese Annäherung wirklich bereit, und so braucht es dazu die Feststellung, dass beide nachts dasselbe träumen, und Zeit – eine Menge Zeit, die sich der Film auch nimmt. Das braucht man ihm nicht zu verübeln, dennoch sind wir sehr froh, ihn gleich zu Beginn des Festivals noch frisch und aufmerksam gesehen zu haben – andernfalls hätten wir die zärtliche, bisweilen aber fast zu bedächtige Persönlichkeitsstudie wohl nicht so zu schätzen gewusst.
Denn die Regisseurin weiß, was sie tut, und in den lang gehaltenen Nahaufnahmen von Gesichtern, Armen, Hälsen von Menschen als auch Tieren liegt eine unbestreitbare Schönheit. Die Close Ups der fragmentierten, teilweise faltigen, teilweise mit Gänsehaut überzogenen Körper stellen die Gefühle der Protagonisten unmittelbar aus (was im Film auch thematisiert wird), implizieren dabei jedoch auch eine Öffnung und Verwundung dieser Körper. So stellt sich in all der Ruhe ein latentes Gefühl der Bedrohung und Zerbrechlichkeit beider Protagonisten ein, die vor allem Mária anhaftet und den geneigten Zuschauer teilweise in dunkler Vorahnung bangen lässt. Es bleibt auch nicht beim bloßen Verweis auf geöffnete Körper – Testről és lélekről spielt in einem Schlachthof und wer Probleme mit Blut und Schnitten hat, sollte sich vorsehen.
Ildikó Enyedis neuer Film macht auf den ersten Blick recht wenig, und man könnte ihr vorwerfen, dass der Wechsel der Erzählperspektiven ihr teilweise nicht elegant gelungen ist und einige ausgelegte Fäden und Motive in der zweiten Hälfte nicht mehr aufgenommen werden. Trotzdem entfaltet er eine überraschend tiefgehende und tatsächlich körperliche Wirkung, was neben der zu großen Teilen exzellenten Erzählweise Enyedis vor allem den beiden Hauptdarstellern zuzurechnen ist. Während Morcsányi mit seinem ausdrucksstarken Gesicht und den eingefallenen Wangen eigentlich kaum etwas zu tun braucht, glänzt vor allem Alexandra Borbély mit einer nuancierten, extrem minimalistischen Performance, die nur in einem Moment etwas bemüht wirkte und mit der sie sich Chancen auf den Silbernen Bären ausrechnen könnte. Da fällt es kaum ins Gewicht, dass die Nebencharaktere fast zu Karikaturen gerinnen, zumal sie dem Film eine dezente Note Humor hinzufügen, die ihm sehr gut tut. Testről és lélekről braucht Geduld und Aufmerksamkeit, belohnt diese aber mit ästhetisch anspruchsvollen Bildern, einer berührenden Geschichte und sehr feinem Schauspiel.
Ob die Hirsche echte Tiere waren oder perfektes CGI, darüber haben wir uns nach dem Kino übrigens etwas gezankt, aber letztendlich spielt es natürlich gar keine Rolle (Sie waren echt, Tom!).
Sven
(Bildmaterial: Berlinale Filmstill, Sektion: Wettbewerb)