Das Motiv ist offensichtlich: ‚Freundliche Fremde‘ – welch besseres Motto in Zeiten wachsender Xenophobie. Über einen platten Aufruf, nett zu sein, kommt der Film von Lone Scherfig allerdings leider nicht hinaus. Dafür ist er so weichgespült, dass es weh tut.
Dass und warum man von Eröffnungsfilmen nie viel erwarten sollte, hat ja Janosch bereits in seinem Beitrag aus Göteborg ausgeführt. Das hält mich allerdings nicht davon ab, immer wieder ins Staunen zu geraten, angesichts der wiederkehrenden Fehlgriffe eines Festivals wie der Berlinale, das den dezidierten Anspruch hat, ein politisches und kritisches Programm zu machen.
Dabei gilt auch in diesem Jahr: Ein oberflächliches, quasi-politisches Statement macht einen Film noch nicht politisch. Der Titel des Films, der dieses Jahr den Aufschlag macht, mag ein ermutigendes Signal senden, angesichts weltweit wiedererstarkenden Fremdenhasses (auch wenn es darin kaum um Migrant*innen, sondern eher um die Fremdheit der Großstadt geht): Menschen können einander helfen, Güte zeigen, obwohl sie sich kaum kennen. Daraus kann doch eine berührende Geschichte entstehen – und von wem, wenn nicht einer skandinavischen Filmemacherin?
Wenn The Kindness of Strangers dann aber nichts weiter tut, als diese Titelbotschaft mit einem holzschnittartigen, tränendrüsigen Drehbuch bis zum überdeutlichen Finale („Be kind to each other!“) durchzuexerzieren; wenn er er die Unfreundlichkeit bzw. Bosheit mystifiziert und soziale oder wirtschaftliche Reibungen auf geradezu lächerliche Weise ausklammert oder relativiert – dann ist das nicht politisch, sondern nur einlullend. Message wie Film verlieren ihre Glaubwürdigkeit. (Und es wird daraus fast ein Thesenfilm – bloß mit denkbar plumper These.)
Die Geschichte zu skizzieren, spar‘ ich mir, wer möchte kann die hier im Programmtext nachlesen – viel mehr gibt‘s dazu nicht zu sagen. Nur ganz kurz: Verschiedene einsame oder verzweifelte Existenzen treffen in New York auf wundersam verwickelte Weise aufeinander und durch gegenseitige Güte und Freundlichkeit finden am Ende alle aus ihrer Misere heraus. Und zwar vollständig. Unter anderem: Aus verschrobenem (aber anständigem) Ex-Knasti wird erfolgreicher (und mitfühlender) Restaurantmanager, aus unterdrückter Hausfrau und Mutter vom Land wird sorgenfreie Manhattan-Mieterin und aus Freundlichkeit wird gleich zwei mal Liebe. Alles Elend ist vorbei – weil alle ‚Kindness‘ gezeigt und die Zähne zusammengebissen haben. That’s it.
Darin lässt sich eine Variation des ur-amerikanischen Klischees individueller Anstrengung zum Glück erkennen: Wenn jede*r einzelne nur ein bisschen freundlicher ist, dann wird die Welt schon zu einem besseren Ort. Passend dazu ist das New York des Films am Ende ein Ort, an dem hohe Mieten, mangelnde Qualifikation oder fehlendes Kapital keinerlei Hemmnis für ein glückliches Leben (oder auch nur: den Zuzug) darstellen. Politik scheint vor diesem Hintergrund überflüssig.
The Kindness of Strangers wird als „Ensemblefilm“ beworben. Dahinter verbirgt sich ein weiteres Problem des Films, an dem der glänzende Cast nichts ändern kann: Den einzelnen Figuren und ihren Geschichten bleibt kaum Raum zur Entfaltung, wodurch sie großteils völlig unterbelichtet bleiben und teilweise wie Abziehbilder wirken. Im Versuch, ihnen trotzdem Profil zu verleihen, geraten sie teils zu Charakteren, die eher einer Sitcom oder einem Slapstick zu entstammen scheinen, als einem Drama. In diesem Fall keine gute Kreuzung. Und alles Schlechte wird in einer einzigen Figur personifiziert – was für eine herrlich einfache Welt. Wieder mal ist es damit das Drehbuch, das die Hauptlast am Scheitern eines Eröffnungsfilms trägt. Doch auch Regisseurin Lone Scherfing trägt ihren Teil zur Weichspülung bei: Ihren ersten großen Erfolg hatte sie mit dem Dogma-95-Film Italienisch für Anfänger, der damals den Silbernen Bären gewann. Von diesen Anfängen ist hier freilich nichts mehr zu spüren – stattdessen pures Hollywood. Zu einem Bären wird sie es damit diesmal hoffentlich nicht schaffen.
Klar, ein Film kann auf sehr verschiedene Weisen politisch sein. Er mag aufrütteln, Problembewusstsein schaffen, Zusammenhänge herstellen, das Publikum an seine bequemen Lebenslügen erinnern – und vieles mehr. Aber in jedem Fall sollte er den Ausschnitt der Welt, den er sich vorgenommen hat, in angemessener Komplexität darstellen. Ein Feelgood-Movie, bei dem sich am Ende alles restlos ineinander fügt, der jede verbliebene Schattierung mit getragener Streichermusik wegspült und der so tut, als könne eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern problemlos Wohnung und Auskommen in Manhattan finden, sobald sie nur den bösen, prügelnden Polizisten-Gatten los ist – ein solcher Film ist jedenfalls alles andere als politisch.
Er ist geradezu antipolitisch, entpolitisierend. Er wirkt wie eine halbgare Kirchenpredigt, die artig an das Elend in der Welt erinnert, nur um dann zu versichern, mit ein bisschen mehr Liebe sei es getan. Man kommt raus und alles kann beim alten bleiben. Aber vielleicht eignet sich so ein Sermon ja – wie die Messe vorm Weihnachtsessen – einfach gut zur wohligen Einstimmung auf den Prosecco danach. Und mehr soll ein Eröffnungsfilm offenbar auch auf der Berlinale nicht leisten.
The Kindness of Strangers (Wettbewerb)
Länge: 112'
Regie: Lone Scherfig
Mit (u.a.):
Bildmaterial: Berlinale Filmstills; Wettbewerb