To thávma tis thálassas ton Sargassón von Syllas Tzoumerkas ist ein eigenartiger Film. Er durchkreuzt seine eigenen Annahmen pausenlos und scheint eine ganze Weile vor allem auf Desorientierung und überfordertes Lachen abzuzielen. So etwas lässt sich eigentlich nur schwerlich bewerten, denn entweder, man steht auf abgedrehten Scheiß, oder eben nicht, oder? Nicht ganz, denn eine Regel gibt es bei Grotesken dann doch: Wenn du dich einmal in das Chaosland begibst, kannst du nicht mehr raus. Genau das versucht Sargassón aber, und in seiner Rückkehr zu einem ernsten Tonfall und kohärentem Handlungsablauf verspielt er die Immunität, die seine erste Hälfte noch innehatte.
Zur „Handlung“ ist zu Beginn des Filmes wie oben angedeutet erst einmal recht wenig zu sagen: Frühere Sondereinsatzleiterin Elizabeth (Angeliki Papoulia) arbeitet seit ein paar Jahren in der Kleinstadt Mesolongi als Polizeichefin und hasst ihren Job, ihr Leben und generell alles außer ihren Teenage-Sohn Dimitris (Christian Culbida). In bester Bad Lieutenant Manier flucht, säuft und kokst sie sich also durch den Alltag und eckt dabei regelmäßig mit der verschrobenen alteingesessenen Bevölkerung an. Das war’s. Parallel zu Elizabeth folgen wir noch dem traurigen Lebensweg Ritas (Youla Boudali), die von ihrem megalomanischen ‚Sänger‘-Bruder regelmäßig bloßgestellt wird und sich in abstruse (Tag-)Träume flüchtet. So vertreibt sich Sargasson die Zeit mit der Aneinanderreihung wilder Absurditäten, die teils Ritas Fantasie, teils den skurrilen Bewohnern Mesolongis entspringen: beim Abendessen schreien 6 Leute durcheinander und Dimitris freundet sich mit einem stinkenden, stummen Kerl an. Eine grottenschlechte Gesangsperformance wird enthusiastisch gefeiert, bis der selbsternannte Star das ganze Publikum aufs übelste beleidigt. Die heiligen drei Könige bringen dem Jesuskind in Jeans und mit Ghettoblaster bepackt Geschenke. Das kann schon auch unterhaltsam sein, oftmals ist es zugleich etwas forciert. Aber der Film ringt hart um das Einverständnis des Publikums mit seinem „Anything-goes“-Fahrplan, also gönnen wir es ihm einmal.
Nach etwa einer Stunde scheint Tzoumerkas jedoch bemerkt zu haben, dass er doch gerne eine Handlung hätte, und so stirbt eben jemand und dient damit als Aufhänger eines simplen Kriminalplots. Und ab hier verliert Sargassón seinen grotesken Drive: Die Untersuchung Elizabeths verliert in kurzer Zeit jede Absurdität und wird nicht nur überschaubar, sie drückt die Stimmung des Filmes auch schnell in Richtung der ‚New French Extremity‘ – das obligatorische Vergewaltigungsvideo inklusive, natürlich. Und auf einmal wird das Publikum mit einer Ernsthaftigkeit und Dringlichkeit konfrontiert, die so gar nicht zu den etablierten Figuren passt. Denn diese Brücke war spätestens bei den heiligen drei Königen abgebrochen. Wenn du einen total komischen Film machen willst, der jenseits von Kritikfähigkeit operiert, dann musst du dich dem auch komplett verschreiben. To thávma tis thálassas ton Sargassón versäumt genau das und bleibt so in doppelter Hinsicht auf der Strecke – als verrückter Kunstfilm wie als eindringlicher, harter Kriminalfilm.
Sven
To thávma tis thálassas ton Sargassón Länge: 121'Produktion:
Bildmaterial: Berlinale Filmstills; Panorama