In einem grauen Innenhof, dessen unverputzte Ziegelwand bereits leicht bröckelt, hängt ein junger Mann ein weißes Laken an eine Wäscheleine. Er ist in ein tiefschwarzes Priestergewand gehüllt und hebt sich so vor Laken wie Wand deutlich ab. Eine ganze Weile steht er vor dem Tuch, das schließlich in einer leicht flatternden Bewegung zur Seite geschoben wird. Dahinter steht ein zweiter Junge, ebenfalls im Priestergewand, der mit verkniffenem Blick seinen Kameraden taxiert. Kein Wort gesprochen, alles gesagt, Služobníci (Servants) von Ivan Ostrochovský ist eine visuelle Offenbarung.
Die beiden jungen Männer heißen Michal (Samuel Polakovič ) und Jurai (Samuel Skyva), sind schon lange Freunde und seit kurzem an einem tschechoslowakischen Priesterseminar in der Ausbildung. Die sowjetische Regierung (wir befinden uns im Jahr 1981) schreibt der nationalen katholischen Kirche strikte Landestreue vor und kontrolliert sie über die staatliche Priestervereinigung „Pacem in Terris“. Als am schwarzen Brett des Seminars regierungskritische Pamphlete auftauchen, geraten Priesterschaft und Schüler ins Visier der Staatsgewalt, die durch den Geheimdienstmitarbeiter Dr. Ivan (Vlad Ivanov) repräsentiert wird. Auch Michal und Jurai geraten schnell zwischen die Fronten eines ideologischen Kampfes, in dem nie ganz klar ist, wer auf welcher Seite steht, und der schnell eine existenzielle Bedrohung entwickelt.
In der Inszenierung dieser etwas gewöhnlichen Geschichte verlässt sich Ostrochovský fast ausschließlich auf die Kraft seiner Bilder. Dialoge sind spärlich gesät, stark eingekürzt und größtenteils belanglos. Aber wozu brauche ich ausgefeilte verbale Andeutungen, wenn doch ein Bild bereits klarmacht, wie es um die Vertrauensverhältnisse bestellt ist? Zu viele Worte laufen schließlich direkt gegen die Prämisse des Films, verbietet die omnipräsente Paranoia den Figuren doch ehrliche Offenbarungen. Je weniger die Figuren sagen, desto mehr spricht die Architektur des Seminars für sie. Diese wird von Kameramann Juraj Chlpík in unglaublich präzisen, statisch gehaltenen Schwarzweiß-Einstellungen kadriert. In den bis aufs Detail durchkomponierten, kontrastreich ausgeleuchteten Bildern werden die (zum Großteil von Laiendarstellern gespielten) Protagonisten angeordnet wie auf einem Tableaux, mit dem die Beziehungen der Figuren verräumlicht werden:
Ein aus der Vogelperspektive gefilmtes Fußballspiel in einem wie ein Käfig wirkenden Innenhof, in dem aufgrund der uniformen Kleidung nicht einmal erkennbar ist, wer zu welcher Mannschaft gehört. Ein Lehrer, der hinter einer sich schließenden Schranktür zum Vorschein kommt, sodass Michal zwischen ihm und Jurai steht. Eine seltene Kamerafahrt, gemächlich durch das Speisezimmer, in dem bis auf einen Tisch niemand sein Essen anrührt.
Jede Einstellung von Služobníci wirkt wie eine bewegte Skulptur, aus der Atmosphäre quillt, und entfaltet eine Aura, der man sich auch dann nicht entziehen kann, wenn die konkrete Handlung nicht ganz klar ist. Wer war das noch gleich? Egal, wir sehen ja seine Position im Bild und seine Haltung, das verrät uns alles, was wir wissen müssen. Und selbst, wenn wir dabei kurz verloren sind, oder die Musik etwas zu laut und bedrohlich wummert, ist das Bild stets da, um mich aufzufangen und mit Genuss vollzustopfen.
Sven
Sektion: EncountersRegie: Buch: Rebecca Lenkiewicz, Marek Leščák, Ivan Ostrochovský Mit: Länge: 80’
Bildmaterial: Berlinale Filmstills: Encounters