Ist ein Film automatisch schlecht, wenn er stellenweise so eklig ist, dass es einem die Fußnägel hochrollt und man sich im Kino oft wünscht, woanders zu sein? Nein, auf keinen Fall. Im Fall des Goldenen Handschuh von Fatih Akin würde ich argumentieren, dass die angewiderten Reaktionen des Publikums (mich eingeschlossen) eher ein Qualitätsmerkmal sind. Am Ende bleibt für mich aber das Fragezeichen: war das grade nur eine abgefahrene Geisterbahnfahrt, oder bleibt hier wirklich was zurück?
Der Buchvorlage von Heinz Strunk folgend, erzählt der Goldene Handschuh die Geschichte des Serienmörders Friedrich Honka (Jonas Dassler), der in den 70ern sein Unwesen in Hamburg trieb. Wie die Vorlage hat der Film sich aber auch auf die Fahne geschrieben, gleichzeitig eine Milieustudie zu sein, was für mich leider nicht komplett aufging.
Der Film spielt sich hauptsächlich in zwei Locations ab: Honkas Wohnung, in der er Frau um Frau umbringt, zerstückelt und dann hinter einem Wandverschlag bunkert. Und die Kiezkneipe ‚Der Goldene Handschuh‘, wo gefühlt alle Kaputtniks des Kiezes abhängen sich betrinken und mehr oder weniger kohärent vor sich hinbrabbeln. Hier reißt Honka nicht nur seine Opfer auf, hier spielen sich auch wahnwitzige Gespräche ab, was einen großen Anteil am Unterhaltungswert des Films ausmacht. Ich bin ja ein Sucker für den norddeutschen Dialekt, aber die Sprüche der Stammgäste und Wirte im Handschuh und die Art, wie sie die abliefern – sind einfach sind der Hammer! Zudem wirkt Honka mit seinem ostdeutschen Genuschelle und völliger Humorfreiheit auch in diesem ihm vertrauten Umfeld verloren. Der Handschuh stellt im Film damit vor allem für uns eine Art sicheren Hafen dar, in dem wir Zuschauer vor Honka sicher sind – solange, bis er wieder mit einem neuen Opfer in seine Butze kommt.
Hier eskaliert Honka völlig und – ach du liebe Zeit! Was da abgeht, habe ich selten in der Intensität und mit so viel Abscheu gesehen. Ich gehe da jetzt nicht gesondert drauf ein, da müsst ihr ihn schon selber sehen, aber seid gewarnt: Wenn jemand nach einer Stunde entsetzt die Flucht aus dem Kino ergreift, kann ich das nachvollziehen. Allerdings macht das den Film nicht direkt schlecht, sondern fesselt einen auf eine perfide Art an den Kinosessel. Ein seltsames Auf und Ab stellt sich ein, gerade hängt man noch den Hamburgern und ihrem Geschwafel an den Lippen, um sich im nächsten Moment wieder im Sitz verkriechen zu wollen.
Somit war ich die gesamte Spielzeit völlig gebannt vom Goldenen Handschuh. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr verliert mich der Film aber wieder. Die Kneipenszene St. Paulis ist sehr unterhaltsam eingefangen, und die Morde Honkas sind furchtbar, aber hinter dieser packenden Oberfläche wirkt der Film am Ende ein bisschen dünn. Die Charaktere werden mit dem ganz groben Pinsel gezeichnet, was ich Fatih Akin nicht mal ganz anlasten kann, weil natürlich die Gefahr bestünde, dass das Publikum am Ende Mitleid mit Honka empfindet, und das wäre problematisch. Andererseits wirkt er teilweise ein bisschen wie eine Karikatur. Auch der Horror, der zweifellos sehr effektiv hervorgerufen wird, dient keinem wirklichen Zweck. So kommt also die Frage auf: warum das alles?
Und natürlich muss der Film diese Frage nicht beantworten können, um eine Daseinsberechtigung zu haben. Die hat er zweifellos, ist aber letztendlich doch mehr diese krasse Geisterbahnfahrt, als ein Film, von dem ich in einigen Monaten noch erzählen werde.
Bildmaterial: Berlinale Filmstills;Wettbewerb