Ich habe bislang fünf Dokumentationen auf der Berlinale gesehen, von denen die meisten gut bis ziemlich gut waren (von der ein oder anderen werden wir sicher noch berichten).
Dann sah ich The Silence of Others von Almudena Carracedo und Robert Bahar und bin mir sicher: Das ist von allen Dokumentarfilmen der Berlinale der stärkste, es sei denn, es käme noch einer von der Qualität des Meilensteins The Look of Silence von 2015 (die Namen sind ja voll ähnlich!), was ich angesichts des Programmes wirklich nicht erwarte.
Zum Film: 1977, nach dem Ende des Franco-Regimes und den ersten freien Wahlen in Spanien verabschiedete das Parlament ein großes Amnestiegesetz, wodurch alle politischen Gefangenen des Regimes freikamen. Die Kehrseite der Medaille war, dass auch alle Verbrechen, die während bzw. im Namen des Regimes begangen wurden, amnestiert (ist das ein Wort?) wurden. Die allgemeine Rhetorik der Politik, die bis heute andauert: Um den Riss, der wegen der Diktatur durch das spanische Volk ging zu heilen, wurde ein Mantel des Schweigens und vor allem des Vergessens über die Franco-Zeit gelegt. Die Opfer des Regimes bzw. ihre Hinterbliebenen warten seitdem auf Gerechtigkeit und Antworten auf unzählige Fragen, wie und wo ihre Eltern umgebracht und begraben wurden. Wo die Neugeborenen geblieben sind, die direkt nach der Geburt entrissen wurden.
Die Dokumentation folgt über fünfeinhalb Jahre einer Gruppe Opfer und ihrer Anwälte, die das Amnestiegesetz umgehen wollen, indem sie einen Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Argentinien anstrengen. Kurze Hintergrundinfo: Bei solchen Verbrechen gelten nach internationalem Recht keine grenzbedingten Zuständigkeiten, weshalb man sie auch vom Ausland aus verfolgen lassen kann.
Der Film beschreibt den beschwerlichen und von ständigen Rückschlägen gezeichneten Weg der Betroffenen und beleuchtet dabei sensibel und würdevoll deren Geschichten. Es entsteht ein Auf und Ab aus Trauer angesichts der Vergangenheit und Hoffnung, Freude und Rührung angesichts der Erfolge, die sich langsam aber sicher einstellen.
Ein ungemein emotionaler, tiefgründiger und bedeutender Dokumentarfilm, der eindrucksvoll aufzeigt, wie wichtig die Aufarbeitung von Unrecht in der Geschichte Spaniens und der ganzen Welt ist.
In den vergangenen vier Jahren Berlinale habe ich bis heute Nachmittag noch nie erlebt, dass sich der gesamte Saal mit Tränen in den Augen zu einer Standing Ovation für die Regisseure erhebt.
Ich weiß, dass die Bewertung als beste Doku des Festivals ein wenig riskant ist, wenn man noch lange nicht alle gesehen hat. Aber für diesen Film lehne ich mich gern aus dem Fenster. Ihr dürft mich eines Besseren belehren. Oder es versuchen.
Janosch