Babies machen Alles schlimmer: Kritik zu Zweite Chance von Susanne Bier

Susanne Bier und Drehbuchautor Anders Thomas Jensen arbeiten seit Für immer und ewig (2002) regelmäßig miteinander. Ihre gemeinsamen Filme beschäftigen sich jeweils mit Familien, deren Schicksale durch Un- oder Zufälle oftmals katastrophalen Ausmaßes miteinander verwoben werden. Es geht um Verlust, Trauma und Störungen im Zusammenleben, das sich entweder neu organisieren muss oder bereits vor etwaigen Schicksalsschlägen nicht funktioniert hat. Zweite Chance (En chance til), Susanne Biers jüngster Film und ihre sechste Kollaboration mit Jensen, bildet hierbei keine Ausnahme. Wie schon bei Love is All You Need (2012) gelingt es den beiden jedoch weder, einen besonders überraschenden Plot zu schaffen, noch, und das ist das wirklich Bedauernswerte, glaubwürdige Figuren zu inszenieren.

Zur Handlung: Andreas (Nicolaj Coster-Waldau), liebender Ehemann, frischgebackener Vater eines Sohnes und Polizist mit alkoholkrankem Kollegen, findet im verwahrlosten Haushalt von kriminellem Junkie Tristan (Nicolaj Lie Kass) und seiner ebenfalls verwahrlosten Freundin Sanne (May Andersen) deren gemeinsames Baby, das schreiend in den eigenen Exkrementen im Bad liegt. Auch wenn Andreas‘ neurotische Ehefrau Anne (Maria Bonnevie) die idyllische Dreisamkeit aus Vater-Mutter-Kind teilweise mit ihren Ausbrüchen trübt, scheinen die beiden familiären Situationen moralisch bestens voneinander abgrenzbar: Hier Harmonie und Geborgenheit, dort Elend und Gewalt. Als dann das für den Handlungsfortgang Unvermeidliche eintritt, beschließt Andreas, seine Chance auf familiäres Glück über das der Drogenabhängigen zu stellen – ob das aber so eine gute Entscheidung ist?

Bei dieser Thematik ist es kaum verwunderlich, dass Zweite Chance schnell die Schmerzgrenze des Publikums erreicht. Aufnahmen von Kindesmisshandlung und Kindstod zu betrachten, ist harter Tobak, gerade in der Form, wie diese von Bier inszeniert werden, nämlich in Dogma-Manier schonungslos und konsequent. Die Abscheu und das Grauen, die in diesen – wohldosierten – Momenten erzeugt wird, rufen bei uns tatsächlich Empathie für die sie durchlebenden Protagonisten hervor. Der Schmerz geht derart an die Substanz, dass es zunächst kaum auffällt, wie konstruiert und abwegig die Geschichte eigentlich ist. Diese Erkenntnis folgt später aber umso deutlicher: Die Offensichtlichkeit der Botschaft, die Jensen und Bier uns, koste es was es wolle, zu vermitteln suchen, nimmt dem Plot seine Spannung und lässt uns jede Wendung lange im Voraus erahnen.

Ähnliches gilt für die Figuren, gerade die drei männlichen Charaktere sind einseitig und recht plump ausgestaltet: Coster-Waldaus‘ Andreas behält moralisch eine weiße Weste, weil Bier versäumt, dem Egoismus seiner Taten nachzugehen, während Lie Kass‘ Tristan ein Abziehbild des dummen und gewalttätigen Heroinsüchtigen wird – und wie man innerhalb von zwei Minuten seine Alkoholsucht überwindet, würden viele Zeitgenossen bestimmt gerne erfahren. Vergebenes Potential angesichts der durchweg guten bis sehr guten Leistungen der Schauspieler und Schauspielerinnen, die bei einem feinfühligeren Drehbuch und einer etwas weniger melodramatischen Inszenierung besser aufgehoben gewesen wären.

Letzten Endes sind es also die teilweise drastischen Bilder, die Brisanz des Themas und das Engagement der Darsteller, die diesen Film über weite Strecken hinweg tragen und derentwegen Zweite Chance durchaus einen Kinobesuch wert ist.

Sven

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