Die Schweizer Doku von Mischa Hedinger ist kein Film über Afrika, sondern über Europa – über die Phantasmen und Vorurteile, die weiße Europäer*innen auf den afrikanischen Kontinent projiziert haben und immer noch projizieren. Und auch der Begriff der Doku trifft es nicht ganz – am ehesten könnte man den Film vielleicht als Essayfilm bezeichnen, insofern sich der Regisseur explizit auf Harun Farocki beruft.
Gegenstand und Material von African Mirror bilden die Aufnahmen des Schweizer Afrikareisenden und -filmers René Gardi, der in den 1950er und 60er Jahren mit Büchern und Filmen das Afrika-Bild in und außerhalb der Schweiz entscheidend mitgeprägt hat – und bis heute prägt. Sein Blick auf den Kontinent und die Menschen dort ist geprägt von kolonialer Bevormundung und Rassismus, kaschiert durch vorgeschobenes Wohlwollen.
Bis heute gibt es in der Schweiz (nach Aussage des Regisseurs) keine kritische Aufarbeitung seiner Arbeit. Das möchte Hedinger mit seinem Film ändern. Dazu beschränkt er sich im Wesentlichen auf die Archivaufnahmen selbst, sowie ausgewählte Tagebucheinträge, Briefe und Fernsehauftritte Gardis. Auf jeden expliziten Kommentar verzichtet er, was dazu führt, dass der Beginn des Films auf etwas bedenkliche Weise die historischen Aufnahmen für sich stehen lässt. Wohl deshalb stieß der Film im Nachgespräch auf einige empörte Reaktionen, die ihm eine unkritische Reproduktion der kolonialpolitisch aufgeladenen Bilder und Texte vorwarfen.
Dabei liegt gerade in der Konfrontation mit den Bildern auch eine Stärke des Films: Dadurch hält er auch dem (weißen, europäischen) Publikum den Spiegel vor, lässt es stutzen angesichts der verblüffenden Vertrautheit dieser Bilder, ihrer Verinnerlichung und der eingeübten Bereitschaft, sie als ‚bloße Dokumentation‘ anzuerkennen. Und es dauert nicht lange, bis Gardis eigene Notizen unmissverständlich klarmachen, wie hochgradig inszeniert und verfälscht die Aufnahmen sind: Unumwunden schreibt er davon, wie er Menschen und Dinge bewusst an- und umordnet, damit sie mit seinem Phantasma von einem „schwarzen Arkadien“ übereinstimmen: Ein Land voller ‚wilder‘, ‚freier‘ Menschen, ‚wahrer Demokraten‘ etc., deren ‚Ursprünglichkeit‘ vor der ‚neuen Zeit‘ bewahrt werden müsse – denen aber im nächsten Moment, in Übereinstimmung mit den Kolonialinteressen, die Fähigkeit zur Selbstbestimmung abgesprochen wird.
Hier zeigt sich eine der Bedeutungen des titelgebenden Spiegels: Afrika wird zur reinen Projektionsfläche europäischer Begehren und Machtphantasien, wird zum faszinierenden wie bedrohlichen Gegenpol der zivilisatorischen Triebunterdrückung stilisiert.
Gerade aus der Abwesenheit expliziter Kommentare resultiert eine umso wirkungsvollere Dekonstruktion der kolonialen Bilder und Aussagen aus sich selbst heraus. So gelingt es Hedinger allein durch geschickte Komposition von Bild und Text/Sprache, die inhärenten Widersprüche in Gardis Welt- und Selbstbild offenzulegen, seinen Rassismus und seine quasi-koloniale Überheblichkeit (er beklagt immer wieder, dass die Schweiz keine eigene Kolonie besitzt), sowie die Romantisierung von Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnissen.
Wenn African Mirror hier gegen die erwähnte Kritik verteidigt wird, so soll damit nicht geleugnet werden, dass die in ihm reproduzierten Bilder schmerzhaft sein können, für Menschen, die darin nicht mit ihren verinnerlichten Stereotypen konfrontiert werden, sondern mit den herabwürdigen Klischees, die teils bis heute den Blick der anderen auf sie bestimmen. Eine schwarze Zuschauerin äußerte hinterher eine entsprechende Klage und die lässt sich nicht wegdiskutieren.
Bezogen auf das weiße Publikum, dessen Blick auf Afrika nicht zuletzt auch die Bilder von Gardi und anderen anhaltend mitkonfiguriert haben, leistet der Film nichtsdestotrotz eine wichtige Arbeit, indem er die Konstruiertheit dieser Bilder und die Selbstgerechtigkeit jenes Blicks offenbart.
Bildmaterial: Berlinale Filmstills; Forum
African Mirror Sektion: Forum Regie: Mischa