In den Jahren 1965/66 wurden nach dem Militärputsch eine Million Menschen als vermeintliche Kommunisten ausgerufen und umgebracht – unter aktiver Zuarbeit nicht nur vom Militär, sondern auch der Zivilbevölkerung. Nachdem sich Joshua Oppenheimer bereits in The Act of Killing den Tätern zugewandt hat, wählte er für The Look of Silence die Perspektive der Hinterbliebenen. Der Indonesier Adi konfrontiert die Mörder seines Bruders Ramli mit ihren Taten – und stößt auf Leugnung, Rechtfertigungen und Drohungen. Tiefer unter die Haut kann ein Film nicht mehr gehen.
Oppenheimer selbst mischt sich in das Geschehen kaum ein, sondern sitzt nur hinter der Kamera und wird von den Tätern häufig angesprochen und aufgefordert, das Filmen sein zu lassen. Der Fokus liegt auf Adi und seiner Familie, der Mutter, die den Schmerz nicht überwinden kann, mit den Mördern ihres Sohnes Tür an Tür zu leben, und dem fast blinden, fast tauben, 100-jährigen Vater. Allgegenwärtig ist die ungemeine Furcht, die die Hinterbliebenen noch immer umtreibt und verständlich macht, warum niemand über das Vergangene sprechen kann.
Die harmonischen, wunderschönen Momente mit Adis Familie sind kurze Verschnaufpausen, ohne die sich in der Bestürzung und dem Grauen vielleicht Ermüdungserscheinungen eingestellt hätten. So jedoch treibt uns der Film um zwischen Glückseligkeit und tiefster Traurigkeit. Das ruhige Tempo des Schnittes spiegelt die Ruhe, mit der Adi bei den Konfrontationen die Rechtfertigungen und Anschuldigungen der Täter erträgt. Sein Gesicht verrät Schmerz, aber keine Wut, auch nicht, wenn er sich alleine in einem dunklen Raum (hervorragend!) die Aufnahmen ansieht, die zur Vorbereitung von The Act of Killing entstanden sind und in denen die Miliz-Mitglieder prahlerisch erzählen, auf welche Weise sie ihre Opfer und Ramli töteten. Und das Publikum nimmt dieses Gefühl direkt in sich auf und wird davon überwältigt (die Gesichter um mich herum, als die Lichter wieder angingen, sprachen Bände).
Es ist mittlerweile zwei Tage her, dass ich The Look of Silence gesehen habe, und erst jetzt fällt mir irgendetwas ein, was ich zu diesem Film sagen könnte außer „Heftig, aber super!“; ich tue mir immer noch sichtlich schwer mit der Kritik, zu sehr hat er mich berührt und schockiert. Mein Zittern ist noch nicht ganz verschwunden, mein Urteil steht: The Look of Silence ist perfekt inszeniert, und geht einem mehr zu Herzen, als man einfach so ertragen könnte; bei so viel Leid und so viel Schönheit zugleich ist es kein Wunder, dass der Film in Venedig den großen Preis der Jury verliehen bekommen hat. Schade, dass er auf der Berlinale nicht im Wettbewerb gelaufen ist,er hat jede Auszeichnung verdient, die ein Dokumentarfilm erhalten kann.
Vielleicht der beste, in jedem Fall der intensivste (Dokumentar-)Film dieser Berlinale.