Out of Nature (Original: Mot Naturen), der dritte Langspielfilm des Norwegers Ole Giæver, zeigt wunderschöne Naturaufnahmen und ist doch kein ‚Naturfilm‘. Es ist ein Film über die Schwierigkeiten eines erfüllten Lebens in Gesellschaft und die schwer zu stillende Sehnsucht danach; über Entscheidungen, Versäumnisse und (Tag-)Träume. Und darüber, dass auch eine Flucht in die „Natur“ uns letztlich nicht von diesen Problemen erlösen kann. Wir sind eben unwiderruflich „out of nature“. Der Clou daran: Das meiste davon spielt sich im Kopf des Protagonisten Martin ab (gespielt vom Regisseur selbst), während er einsam durch eine norwegische Landschaft joggt.
Die Natur, durch die sich dieser Einsiedler auf Zeit dabei bewegt, ist bedeutsam vor allem in ihrer Menschenleere, als Spiegel desjenigen, der hier beim Rennen über sein Leben sinniert und der so auf seine eigenen Gedanken, Zweifel, Wünsche, Träume zurückgeworfen ist; als Freiraum auch, um sich manchem davon hinzugeben und es (in Gedanken) auszuleben. Und so ist das Motto des Films nicht umsonst: „Who are you, when no one is watching?“ An all diesen Gedanken – auch den intimsten oder peinlichsten – lässt die Off-Stimme Martins den Zuschauer teilhaben.
Vor diesem Hintergrund muss das Motto etwas absurd wirken, wenn man bedenkt, dass ein ganzes Kinopublikum den einsamen Sinnsucher nicht nur auf Schritt und Tritt beobachtet, sondern sogar seine Gedanken verfolgt. Das Entscheidende ist ja aber das Sich-unbeobachtet-Fühlen: Die fiktive Hauptfigur weiß ja nichts davon, dass er unter cinematografischer Beobachtung steht. Der Film selbst reflektiert diesen Umstand in einer Szene, in der der Protagonist ganz unbefangen einem dringenden Verlangen nachgibt, bis er plötzlich von einem Spaziergänger überrascht wird…
Viele der Probleme und inneren Konflikte, die Martin während seines Laufs durchs durch die ‚Natur‘ beschäftigen, sind bestimmt durch eine bestimmte Position im Leben: Er befindet sich wohl in seinen Dreißigern, hat eine kleine Familie, einen nicht näher bestimmten Bürojob. Dennoch richtet sich der Film nicht an ein bestimmtes Alter (oder Geschlecht), sondern schafft es, den Zuschauer auf einer allgemeineren Ebene zu berühren. Unabhängig von den konkreten Umständen dieses uns so offen vorgeführten Lebens und denen unseres eigenen fühlt man sich immer wieder ertappt, findet man sich auf diffuse Weise diesem fremden Menschen wieder.
Obwohl, oder gerade weil, der Film dezidiert fiktional – und nicht autobiographisch ist – , vermittelt er einen Eindruck höchster Ehrlichkeit und Intimität. Dazu trägt auch der Umstand bei, dass musikalische Untermalung nur extrem sparsam eingesetzt wird, nämlich dann, wenn wir an träumerischen Imaginationen des Protagonisten teilhaben oder aber er tatsächlich selbst Musik hört – zum Beispiel, wenn er zu Forever Young im Ohr durch die Landschaft joggt. Eine der besten Szenen dieser Berlinale bisher.
So schafft es der Film, zahlreiche komische Momente zu erzielen, ohne jedoch dabei seine Hauptfigur zu verraten – im Gegenteil nimmt der Film sie in all ihren Facetten, Ticks und Eigenheiten ernst. Bei aller Peinlichkeit und Fremdscham, die in zahlreichen Situationen aufflammen, lacht man doch niemals über Martin – eher stößt man ein befreiendes Lachen der Wiedererkennung aus und denkt bei sich, „Oh Mann, wenn mir das passieren würde“. Und tatsächlich fühlt man sich befreit nach diesem Film – auf sprachlose Weise verstanden und ein bisschen mit sich versöhnt.
Schon jetzt lässt sich sagen, dass dies wohl einer der besten, auf jeden Fall mutigsten Filme dieser Berlinale gewesen sein wird, der es versteht, auf unvergleichliche Weise zu berühren und zu unterhalten zugleich.
Costja
(Bildmaterial: Berlinale Filmstill, Sektion: Panorama)