Dieser aufwendig produzierte Dokumentarfilm von Alex Gibney wird wahrscheinlich einen Preis bekommen. Einfach, weil sein Thema so aktuell und politisch ist und um seine investigative Arbeit anzuerkennen: Es geht um „stux net“, den berüchtigten Computer-Virus, der vor inzwischen schon einigen Jahren durch die Medien ging und von dem bis heute niemand so recht sagen, wo er eigentlich herkam und was sein Zweck gewesen ist. Klar schien bisher nur, dass er weiträumigen Schaden angerichtet hat, nicht zuletzt in den USA, dass er außergewöhnlich raffiniert programmiert war, was eine staatliche Beteiligung wahrscheinlich macht, und dass sein eigentlicher Einsatzzweck mit der Sabotage des iranischen Atomprogramms zu tun gehabt zu haben scheint. Der Film bestätigt nun all dieses Halbwissen, aber er versucht vor allem, die Einzelheiten dieser Geschichte herauszufinden und vermitteln: durch eine Vielzahl von Insider-Interviews mit den Antivirus-Experten die StuxNet entdeckt und analysiert haben, einem Journalisten, der ein Buch über Cyberwars geschrieben hat, sowie (und dafür wird es einen Preis geben) mit verschiedenen Geheimdienstleuten von CIA, NSA und Mossad.
Das alles ist streckenweise durchaus spannend und aufschlussreich und die absurd anmutende Wand aus Schweigen bzw. Sprechverboten, auf die Gibney in seinen Recherchen immer wieder trifft, sobald es um staatliche Beteiligung geht, wirklich bedenklich. Die Visualisierungen der Datenströme im Matrix-Stil mögen etwas abgegriffen wirken, aber alles in allem schafft es der Film doch erstaunlich gut, die technischen wie investigativen Details von stuxNet nachvollziehbar zu vermitteln. Trotzdem ist das Unterfangen nicht unproblematisch. Das liegt zum einen an dem von Anfang an bedenklich verschwörungstheoretischen Gestus, mit dem der Film die Bedeutung seines Gegenstands immer wieder untermauern zu müssen glaubt; dabei hätte er die permanente bedrohliche Musik im Hintergrund gar nicht nötig, werden doch die Gefahren, die in hochfinanzierten, unregulierten und streng geheimen Cyberwaffen liegen – etwa die titelgebenden „zero days“ einer Attacke vorangehenden Schutzes – auch so deutlich genug. Zum anderen bereitet Bauchschmerzen, wie unreflektiert, ungebrochen Gibney in seinem Film von einer Faktizität der Aussagen seiner Interviewpartner*innen ausgeht und ein So-ist-es-gewesen suggeriert. Wie diskussionswürdig bzw anzweifelbar manche dieser Aussagen sind, führt beispielhaft eine Passage vor Augen, in der einige ehemalige Geheimdienst- bzw. Regierungsmitarbeiter davon sprechen, wie umfänglich unter der Bush-Administration die legalen Feinheiten einer (ohnehin streng geheimen) Cyber-Intervention im Iran abgewogen worden wären – erinnert man sich einmal kurz, wie leichtfertig unter Bush (aber auch Obama) nachgewiesenermaßen in anderen, offeneren Kontexten mit rechtlichen Fragen umgesprungen wurde, wirkt diese Darstellung doch ziemlich unglaubwürdig.
Ärgerlich ist schließlich auch das ziemlich offensichtliche Othering entlang traditioneller Freund-Feind-Linien: Keine Frage, am Vorgehen der US-Regierung und -Geheimdienste wird Kritik geübt. Aber die wirkliche Gefahr, der Grund für die Kritik liegt im befürchteten Gebrauch der gleichen Methoden durch China, Putin und Nordkorea (neben dem Iran selbst, der mutmaßlich bereits zurückgeschlagen hat). Diese Bedrohungen werden dann etwa in Form einer Massenaufnahme von uniformierten Chinesen vor Computerbildschirmen illustriert – nach dem Motto: Hilfe, die Schlitzaugen greifen an…
Und wer ist überhaupt Schuld daran, dass der Virus sein eng geplantes (und insofern gerechtfertigtes, weil die Bad Guys aus dem Iran von ihren Atomvorhaben abhaltend) Einsatzgebiet verlassen und weltweit für Unruhe gesorgt sowie die ganze Mission öffentlich gemacht hat? Die Israelis natürlich, die in ihrer stümperhaften Ungeduld eigenmächtig Veränderungen an der Programmierung vorgenommen haben. So jedenfalls suggeriert der Film am Ende unbezweifelt – eine ziemlich starke Behauptung für die ohnehin weitgehend unklare Faktenlage. Dass US-amerikanische Geheimdienstler die Verantwortung für das Scheitern zu den Alliierten abschieben, sollte nicht überraschen und ist nicht unbedingt ein Ausweis für die Wahrhaftigkeit dieser Behauptung… Und überhaupt, schonmal was von strukturellen Antisemitismus gehört?
Trotzdem bleibt Zero Days ein durchaus sehenswerter Film, wenn man sich denn mit dem sehr amerikanischen, sensationsheischenden Dokumentationsstil arrangieren kann und nicht der Versuchung erliegt, jede Behauptung des Films oder seiner Interviewpartner für eine unumstößliche Tatsache zu nehmen. Was der Film jenseits der Schuldfrage sicher unmissverständlich klar macht, ist dass mit Stuxnet eine neue Ära der (Quasi-)Kriegsführung angebrochen ist: Es gibt nun einen Präzedenzfall für den Einsatz von „cyber weapons“ einer neuen Größenordnungen. Und der Film argumentiert überzeugend anhand zahlreicher Szenarios, dass diese eine ähnlich zerstörerische, lebensbedrohliche Wirkung entfalten können wie ‚klassische‘ Waffensysteme. Einer der Interviewpartner vergleicht gegen Ende den Bereich den Stand der Debatte um den „Cyberwar“ mit den langwierigen Verhandlungen zu Abkommen über nukleare oder biochemische Waffen. Ein ebensolches Abkommen, vielleicht gar eine „mutually assured destruction“, braucht es baldestmöglich auch für die ‚virtuelle‘ Kriegsführung, die inzwischen ganz ‚materielle‘, existenzielle Konsequenzen haben kann. Darüber lohnt es sich nachzudenken. Wenn Zero Days dazu einen Beitrag leisten kann, wäre das keine geringe Leistung.
Constantin