„Fragt eine Siebzigjährige nicht, wo sie herkommt. Es ist doch viel interessanter, wo sie hingeht“. Spätestens als man merkt, mit welcher Voraussicht sie diese Sätze gesprochen, und welche Wendungen ihr Leben noch für sie parat hatte, gab es bei uns kein Halten mehr.
Chavela Vargas‘ Leben selbst schreibt sich eigentlich schon wie eine Romanerzählung. 1919 in Costa Rica geboren und von der eigenen Mutter stigmatisiert, zieht sie mit vierzehn Jahren nach Mexiko und trifft auf einen der bekanntesten Ranchera-Sänger und -Komponisten Mexikos, José Alfredo Jiménez. Durch ihn wird sie in den Sechzigern berühmt, behauptet sich in einer männerdominierten Macho-Film- und Musikwelt und stimmt als erste Sängerin Mexikos Liebesgesänge auf Frauen an. Sie lebt ihre Homosexualität trotz gesellschaftlicher Widerstände offen aus. Chavelaz’ tiefe Stimme und ihr Gestus erwecken jede ihrer Zeilen zum Leben, werden für den Hörer spürbar, ihre persönliche Einsamkeit nachvollziehbar. Nach knapp 20jähriger Gesangskarriere ist sie am Anfang der 80er Jahre bereits eine Legende.
Dann folgt der Absturz. Sie zieht sich zurück, und verfällt knapp 12 Jahre dem Tequila, wird aber nie ganz vergessen, da sie neben ihrer Musik als eine der wichtigsten Frauen in der homosexuellen Bewegung Mexikos eingeht. Ob sie noch am Leben ist, weiß niemand. Anfang der Neunziger, setzt Pedro Almodóvar, als bekennender Chavelafan, ihre markante Stimme für den Soundtrack seiner Filme Die Waffen einer Frau und Mein blühendes Geheimnis ein. Ein irres Comeback folgt! Die inzwischen Mitte 70jährige Dame, reist nach Madrid und nimmt in kürzester Zeit zwei Alben auf. Es folgen Tourneen und Auftritte in vielen großen Spiel- und Konzerthäusern, die ihr in ihrer jüngeren Karriere verwehrt blieben.
Catherine Gunds und Daresha Kyis haben mit ihrer Dokumentation eine ausdrucksstarke Liebeserklärung geschaffen, die sie einer einzigartigen Frau sowie Frauen im Allgemeinen widmen. Entstanden ist eine Zusammenkunft aus Interviews und musikalischen Einblendungen. Verwackelte Handkamera-Aufnahmen, sowie hochauflösende Interviewsequenzen von Chavela und ihren Weggefährten begleiten uns auf dieser Reise durch ihr Leben. Über allem schwebt ihr herzzerreißender Gesang, wobei die Songtexte glücklicherweise ins Englische übersetzt wurden, sodass auch uns die Metaphorik der spanischen Sprache deutlich wurde.
Wie seinerzeit bei ihrem Publikum, löste Chavelaz‘ Präsenz auf der Bühne bei uns Tränen der Rührung und Freude aus, und hinterließ zwei verzauberte Kinder. Diese Doku macht Lust aufs Menschsein!
Immer noch hin und weg,
Maike und Janosch
Bildmaterial: Berlinale Filmstill, Sektion: Panorama