Gut, aber grenzwertig: ‚Freie Zeiten‘

Als wir das Kino Arsenal nach der Projektion von Janina Herhoffers Freie Zeiten verliessen, hatten wir ein ungutes Gefuehl im Bauch. Die Dokumentation möchte zeigen, was Menschen tun, wenn sie nicht arbeiten, also scheinbar frei haben. Sie zeigt Menschen beim Yoga, Ballett, eine Band beim Proben, Lachyoga, Gesangs-Meditation, Weight Watchers, eine Therapiegruppe und so weiter. Ihre Botschaft: Auch in unsrer freien Zeit sind wir so mit Optimierung und Arbeit an uns selbst beschäftigt, als wäre die Zeit gar nicht ‚frei‘. Eine gut herausgearbeitete Beobachtung in einem an und für sich gut gemachten und hochinteressanten Film. Der Haken: Freie Zeiten bewegt sich oftmals hart an der Grenze zum Voyeurismus, die er unserer Meinung nach einige Male überschreitet.

Janina Herhoffer reiht die verschiedenen Gruppen kompilatorisch aneinander, wechselt immer wieder hin und her; das erzeugt einige komische Momente und schafft ein tolles Panorama, wird jedoch problematisch, wenn sie auf diese Weise beispielsweise die Performance der Gruppe, die einen schamanistisch anmutenden Singsang anstimmt, bei dem sich die Gruppe nach und nach findet, fragmentiert und so deren eigentliche Wirkung und Motivation unterschlägt. Was dann übrig bleibt, ist eine Gruppe vor sich hinsummender und trommelnder ‚Freaks‘, auf die man mit dem Finger zeigen kann. Bei der Therapiesitzung, die gerade einen Mann schonungslos in seiner Verletzlichkeit zeigt, fühlt es sich fast ein bisschen an wie eine Vorführung aus dem Kuriositätenkabinett.

Das mag nicht direkt beabsichtigt sein (die Regisseurin hat sich im Q&A ausdrücklich davon distanziert, jemanden lächerlich machen zu wollen), vielmehr sollte man als Zuschauer durch die gezeigten Szenen zum kritischen Nachdenken ueber sein eigenes Leben angeregt werden. Doch gerade, wenn man in einer Vorstellung sitzt (wie es uns passiert ist), in der Teile des Publikums lauthals und schamlos die portraitierten Personen auslachen, rollen sich einem die Zehennägel hoch.

Deswegen können wir, egal wie charmant und prägnant Freie Zeiten über weite Strecken hin ist, nur eine eingeschränkte Empfehlung aussprechen: sehenswert ist der Film allemal, allerdings nur in einer reflektierten Atmosphäre – zur Not, wenn er im Fernsehen läuft.

Sven

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