Die Entsolidarisierungsmaschine: Yarden

Flackernde Lichter in nachtschwarzem Wasser, dazu dräuende klassische Musik. So beginnt Yarden (The Yard), von Måns Månsson, und diese Ouvertüre ist gut gewählt als symbolischer Einklang auf das Folgende. Sie nimmt die bedrückende Verlorenheit vorweg, die in zunehmender Intensität das Filmgeschehen bestimmen wird. Und fasst in einem Bild die Lage eines Menschen, der am unteren Ende der neoliberalen Hackordnung angekommen ist. Yarden erzählt von einem solchen Menschen.

Der Protagonist, ein mäßig erfolgreicher Dichter, der gerade sein jüngstes Werk veröffentlicht hat, katapultiert sich in einem Anflug rigoroser Selbstkritik durch einen selbstverfassten Verriss seines eigenen Buches aus jeder beruflichen Perspektive und sieht sich plötzlich gezwungen, den Unterhalt für sich und seinen Sohn anderweitig zu erwirtschaften: als ungelernter Handlanger auf einem exorbitanten Lagerplatz im Hafen Malmös – wo er als einziger Arbeiter ohne Migrationshintergrund sofort aus dem Rahmen fällt.
Nach einer erniedrigenden Registrierungsprozedur und der Zuweisung einer Nummer, die fortan seine innerbetriebliche Identität darstellt, besteht ‚11811’s hauptsächliche Aufgabe darin, endlose Reihen fabrikneuer Autos hin-und herzufahren; ein kafkaesker Sisyphos. Die unabsehbaren Felder weiß verpackter Neuwagen wirken dabei wie ein morbider Spiegel der Konsumgesellschaft, ein Friedhof ihrer ungeborenen Artefakte; oder wie eine verschneite Steppe; und der herabgesunkene Dichter darin wie ein verirrter Wanderer, der friert in der Kälte des Spätkapitalismus.

Diese Kälte durchzieht den Film auf allen Ebenen: In den Beziehungen, auch der des Dichters zu seinem Sohn, in der blassen Farbgebung, und in den immer wieder zwischengeschobenen nächtlichen Tauchszenen, die dem Dichter seine einzige Auszeit sind, von sozialer wie ökonomischer Prekarität. Und doch unterstützen gerade diese Szenen – die einsamen Lichter im dunklen Meerwasser, der einsame Dichter, der darin um sich fuchtelnd halb untergeht – den Eindruck von Verlorenheit in kalter Dunkelheit.

Vor allem aber das Klima im ‚yarden‘ (Lagerplatz) ist ein unterkühltes:  Es werden zuviele Airbags geklaut und Sachen beschädigt und das Management hat sich entschlossen, mit einem ‚Bonus-System‘ gegenzusteuern: Denunziationen werden mit Prämien belohnt. Den Anreiz, davon Gebrauch zu machen, garantieren empfindliche Abzüge auf Zuspätkommen; dabei gilt die Prämie angeblich nur, wenn die Anschuldigungen bewiesen werden können. Wie ernst diese Unschuldsvermutung genommen wird, zeigt sich, als einmal plötzlich der Alarm losgeht und der Wachschutz – auch er scheint unter Erfolgsdruck zu stehen – willkürlich den nächststehenden Arbeiter dafür verantwortlich macht; der ehemalige Dichter tritt, noch mit der Selbstverständlichkeit des vergleichsweise Privilegierten, für den anderen ein, woraufhin zwischen beiden eine leise Annäherung, ein stillschweigendes Vertrauen entsteht. Als der Dichter jedoch kurz darauf ohne Vorwarnung und mit vager Begründung seinen Job verliert, steht er selbst vor dem Nichts. Und es wird fraglich, wieviel Ehrlichkeit, wieviel Prinzipientreue er sich leisten kann.

Yarden wirft genau diese Frage auf: Inwiefern ist unter den Bedingungen prekärer Arbeit im Neoliberalismus so etwas wie Solidarität noch möglich, inwieweit kann  man sich und seinen Werten treu bleiben, wenn man unter diese Bedingungen gerät. Und die Antwort fällt pessimistisch aus. Der Film zeigt im Kleinen, wie diese Solidarität systematisch unmöglich gemacht wird, wie der Betreiber des Lagerplatzes seine Angestellten gezielt gegeneinander in Stellung bringt; so wie im Großen die Geschäftspraktiken von Unternehmen wie Amazon – oder, noch allgemeiner: die neoliberale Wirtschaftsordnung – diese Entsolidarisierung vorantreiben und konstitutiv auf sie angewiesen sind. Hier gibt es keinen Bad Guy; nur monadische Individuen, die einer systemischen Logik genügen – eine Maschine, die Prekarität produziert.

Yarden erscheint auf den ersten Blick als eine Mikrostudie über die Existenzbedingungen der ‚lowest workforce‘ im Spätkapitalismus. Im Grunde aber geht er weit darüber hinaus: Der ‚yarden‘ wird zum Kristallisationspunkt einer ganzen Gesellschaft, der die nicht-monetären Kohäsionskräfte abhanden kommen; in der prekarisierte Individuen sich gegenseitig zerfleischen; und in der sich ein ‚Happy End‘ schließlich nur noch als neuer Fernseher  manifestiert. Månsson zeigt das am Beispiel Schwedens, das inzwischen seine Grenzen für Flüchtlinge geschlossen hat. Tatsächlich, wie der Regisseur im Nachgespräch betonte, gilt das aber in ähnlicher Weise für ganz Europa.

Die große Kunst des Films besteht darin, dass er all das dem Publikum nicht mit dem Zaunpfahl um sich schlagend einbläut, sondern in behutsamen Andeutungen entfaltet und die erzählte Geschichte immer wieder mit symbolträchtigen, ’sprechenden‘ Bildern verschränkt. Großartige Darsteller (zu größten Teil Laien), fast vollständiger Verzicht auf Musik und der Mut zu langen Einstellungen tun ihre Übriges. All das macht Yarden zu einem der bisher kohärentesten, intelligentesten und emotional wie intellektuell ansprechendsten Filme der diesjährigen Berlinale.

Constantin

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